Sprechstunde bei Dr. Google
Wenn Medizin in erster Linie ein Wirtschaftsfaktor ist, muss man sich nicht wundern, dass Menschen misstrauisch werden und eher digitalen Informationskanälen vertrauen als dem Arzt, polemisiert Dr. Werner Bartens, selbst Mediziner und vielbeachteter Autor. Er prangert an, dass Beteiligte am Gesundheitswesen immer auf der Suche nach mehr Profit sind. Es würden Grenzwerte gesenkt, um Gesunde zu Kranken zu machen, neue Krankheiten erfunden, um Nachfrage zu stimulieren, unnötige oder sinnlose Untersuchungen durchgeführt, um abrechnen zu können, und eher eine Magensonde gelegt, als einen kranken langsam Essenden zu füttern. Der mündige Patient zweifle zunehmend, ob das, was der Arzt anbietet, ihm selbst gut tut, oder nur dem Arzt bzw. dem Gesundheitssystem. In einer ökonomisierten Medizin fehlt laut Dr. Bartens die Patientenfürsorge. Diese haben das Gefühl, nicht richtig wahrgenommen zu werden. Hilfe, die in erster Linie Schein-Hilfe ist, findet sich im World Wide Web.
Niemand wird und will das Netz ausschalten, das über 80% der Patienten zur Information über Krankheiten und Diagnosen nutzen. Das Problem sieht Walter Plassmann von der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg ebenfalls darin, dass Patienten, weil mündig, mit Diagnosen und schnellen Abfertigungen beim Arzt alleine gelassen werden. Also recherchieren sie online. Die Chance, dadurch mehr krank als gesund zu werden, ist groß. Plassmann beschreibt das Netz als einen großen Mülleimer, in dem immer auch noch etwas Gutes steckt – man müsse es nur finden. Er plädiert dafür, dass Ärzte das Internet konkret in ihre Therapie integrieren und den Patienten auf gute, seriöse Informationsquellen hinweisen. „Die Bezeichnung Heil-Kunst hat viel mit digitalisierbaren Werten zu tun: Vertrauen, Zuwendung, Glaube“, so Plassmann.
Vertrauen kann nur entstehen, wenn der Arzt sich zugewandt verständlich artikuliert. Ist das alltagsrealistisch bei einem Facharzt, der 30-mal an jedem Arbeitstag den gleiche Erkrankung erläutern muss? Qualifiziert, aber verständlich aufbereitete medizinische Erklärungen: Das ist das Erfolgsrezept von „Dr. Johannes“, dessen Videos Klickraten generieren, von denen Werbetreibende träumen. Der Arzt mit der markanten Brille, der heiter und verständlich die medizinischen Hintergründe der häufigsten Erkrankungen erklärt und Tipps gibt, ist Dr. Johannes Wimmer. Dr. Wimmer arbeitet in der Notaufnahme einer Hamburger Klinik und kennt das Dilemma zwischen wenig Arztzeit und dem unbeeinflussbaren Google-Algorithmus, der suchenden Patienten das anbietet, was im Ranking bei der Begriffseingabe prominent platziert ist. Kein Wunder also, wenn der Patient, der „Fieber“ und „Hautausschlag“ eingegeben hat, panisch mit der Diagnose Rocky Mountain spotted fever beim Arzt erscheint. „Mir geht es um die Patienten-Reise. Dr. Google ist immer da. Warum sollte er also nicht die Basisinformationen über Arthrose oder Erkältungskrank¬heiten vermitteln“, fragt Dr. Wimmer. Und weiter: „ Wenn Content King ist, ist Kontext Queen – und wir alle wissen, wer die Hosen an hat.“ Dr. Wimmer liefert nach eigener Einschätzung 10 Prozent Inhaltstiefe für 100 Prozent der Menschen. Die individuelle Behandlung eines sachlich richtig vorinformierten Patienten liegt dann beim Arzt. Wimmer: „Ärzte können sich durch digitale Vorab¬informationen mehr Freiräume schaffen und hätten mehr Zeit zum Beispiel für den Patienten.“
Auch aus Sicht von Kai-Peter Siemsen, Apotheker und Präsident der Apothekenkammer Hamburg, macht es keinen Sinn, dem exponentiellen Wissenszuwachs durch das Internet mit Ablehnung entgegenzutreten. Man müsse im Gegenteil dafür sorgen, dass der Patient oder Apothekenkunde gute Information von interessengeleiteten Auskünften und Trash unterscheiden könne und begreife, dass Foren und Apps nicht auf Basis des hippokratischen Eids funktionieren. Die häufige Sichtweise, dass der vorinfomierte Patient eher hinderlich ist, hält auch Siemsen für verkehrt. Dieser hat sich mit seiner Krankheit bereits beschäftigt –die beste Ausgangssituation für ein gutes Gespräch mit Arzt oder Apotheker ist.
Das Fazit zieht Prof. Augustin: Es wird keinen Konsens geben, was für die Patienten-Aufklärung wichtig ist, da die Interessen zu unterschiedlich sind. Daher wird es bei den Informationen aus dem Netz bei Pluralität bleiben - und der Wichtigkeit des persönlichen Gesprächs. Das Internet ist Teil der zukünftigen Medizin, das Ärzte und Apotheker aktiv, aber eben nur ergänzend für sich nutzen sollten.
Über 200 Zuhörer aus allen Bereichen des Gesundheitswesens verfolgten die spannende Debatte über die Rolle des Internets für die Medizin. Prof. Augustin bedankte sich ausdrücklich bei der Firma Pohl-Boskamp, ohne deren Unterstützung eine solche Großveranstaltung im universitären Rahmen nicht möglich wäre.
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Der Eppendorfer Dialog zur Gesundheitspolitik versteht sich als öffentliches Forum zur Diskussion wichtiger Entwicklungen im Gesundheitssektor. Seit 2006 lädt Prof. Matthias Augustin, renommierter Spezialist für Versorgungsforschung und Leiter des Instituts für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP), regelmäßig Experten aller Disziplinen des Gesundheitswesens zur Debatte ins Universitätsklinikum Eppendorf. Die Veranstaltungsreihe ist mittlerweile überregional bekannt dafür, unterschiedliche Sichtweisen auf aktuelle Themen zu bündeln und der Öffentlichkeit Fachwissen höchsten Rangs zugänglich zu machen.
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Datum: 14.11.2014 - 14:48 Uhr
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Gesundheitswesen - Medizin
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