Rede von Dr. Guido Westerwelle zu den aktuellen Ereignissen in Afghanistan
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Rede von Dr. Guido Westerwelle zu den aktuellen Ereignissen in Afghanistan
(Stenographisches Protokoll)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, die Tatsache, dass Sie eine Regierungserklärung angesetzt haben, aber auch der überzeugende Inhalt dieser Regierungserklärung wird von den Freien Demokraten nachdrücklich unterstützt.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wir gehen davon aus, dass diese Regierungserklärung eine Regierungserklärung der gesamten Regierung gewesen ist. Wir gehen davon aus, dass sich diejenigen 80 Prozent, 90 Prozent in diesem Hohen Hause , die den Afghanistan-Einsatz mit der Abgabe ihrer persönlichen Stimme beschlossen haben, hier jetzt keinen schlanken Fuß machen. Ich glaube, dass diejenigen, die den Afghanistan-Einsatz überparteilich mit beschlossen haben, sich hinter dieser Regierungserklärung ver-sammeln können. Hier haben Sie für Deutschland gesprochen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, weil Sie dazwischenrufen, will ich Ihnen Folgendes sagen: Ich akzeptiere und respektiere, dass Sie eine andere Haltung haben. Ich hoffe aber eines: dass die Debatte im Anschluss an diese Regierungserklärung keine Fortsetzung des Wahlkampfes in diesem Hause wird.
(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Hier geht es nicht um Parteien, hier geht es um unser Land; das ist es, worüber wir in dieser Stunde debattieren sollten.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So eine Schleimerei!)
Deswegen, Frau Bundeskanzlerin, möchte ich mit Nachdruck begrüßen, dass Sie Worte des Mitgefühls und der Trauer gesprochen haben. Sie haben diese Worte für Deutschland gewählt. Das ist aus unserer Sicht, aus Sicht der Freien Demokraten, richtig, angemessen, notwendig und überfällig gewesen, damit nicht der Eindruck erweckt wird, die Fakten zu allem seien schon bekannt und wir könnten abschließend urteilen.
Es ist richtig: Wenn Fehler gemacht worden sind, müssen wir als ganzes Land die Verantwortung dafür übernehmen. Richtig ist aber auch: Wenn man die Fakten noch nicht kennt, wäre es falsch, eine Vorverurteilung vorzunehmen. Deswegen dieses kritische Wort gehört dazu ist es nicht in Ordnung, dass vor dieser Debatte, vor dieser Regierungserklärung eine Informationspolitik stattgefunden hat, die mehr zur Verwirrung als zur Aufklärung beigetragen hat. Die Regierungserklärung, die Sie abgegeben haben, war auch deswegen überzeugend, weil Sie gar nicht den Versuch unternommen haben, zu behaupten, alles sei schon aufgeklärt. Es wäre gut, wenn alle Kabinettsmitglieder vorher so gehandelt hätten.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Meine Damen und Herren, ich denke, es ist richtig und wichtig, dass wir alle, die wir diesem Einsatz zugestimmt haben, die Verantwortung nicht abgegeben haben.
(Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Nicht alle!)
Das ist wahr. Mit "wir" meine ich uns, die wir diesem Einsatz zugestimmt haben. Es ist hinreichend bekannt, dass Sie eine andere Haltung einnehmen. Das ist ja auch Ihr gutes Recht. Wir alle, die wir diesem Einsatz ja auch aus der Opposition heraus zugestimmt haben, haben von Anfang an die Überzeugung gehabt, dass dieser Einsatz so schnell wie möglich beendet werden soll. Niemand schickt doch leichtfertig Soldaten in ein anderes Land, niemand schickt leichtfertig Soldaten nach Afghanistan. Jeder, der diesen Beschluss gefasst hat, möchte, dass unsere Frauen und Männer so schnell wie möglich gesund zurückkehren.
Niemand tut das leichten Herzens. Wir tun das, um die Sicherheit unseres eigenen Landes, der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, in Mitteleuropa, zu gewährleisten und zu verbessern. Zuallererst deswegen sind wir in Afghanistan. Es geht um die Freiheit und die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)
Deswegen ist es auch richtig, dass wir gemeinsam dem Ziel verpflichtet bleiben, so schnell wie möglich aus Afghanistan rauszugehen. Das Ganze kann aber weder kopflos noch überstürzt stattfinden; denn wenn wir jetzt überstürzt und kopflos abziehen würden, dann wäre Afghanistan am nächsten Tag wieder das Rückzugsgebiet der Terroristen in der ganzen Welt. Das kann niemand ernsthaft verantworten.
Denjenigen, die es sich heute leicht machen, weil sie an den Wahltag denken, möchte ich zurufen: Bedenken Sie bitte auch, welche Diskussion es in diesem Lande gäbe, wenn wir als Vertreter des Volkes, wissend, welche Gefahr es für unser Volk gibt, so tun würden, als gäbe es diese Gefahr nicht. Wenn etwas passiert, dann findet plötzlich eine ganz andere Diskussion statt. Unsere Aufgabe ist es, zu verhin-dern, dass etwas passiert.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Deswegen möchte ich auch nachdrücklich darauf aufmerksam machen, dass die Idee, man könne den zivilen Aufbau von dem militärischen Schutz trennen, nicht umgesetzt werden kann. Es würde kein einziges Krankenhaus in Afghanistan gebaut, es würde kein Brunnen gebohrt, es gäbe keine einzige Ärztin, die zum Beispiel Kinder impft, und es gäbe keine Lehrerin, die unterrichtet, wenn keine Frauen und Männer der Bundeswehr dort wären, die mit ihrem Leib und Leben dafür geradestehen, dass diese großartige zivile Aufbauleistung überhaupt stattfinden kann.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Frau Bundeskanzlerin, es ist gleichwohl aber auch notwendig, dass wir feststellen: Wenn wir das Konzept der selbsttragenden Sicherheit im Bündnis durchsetzen wollen, dann müssen wir auch unseren Verpflichtungen, die wir international übernommen haben, nachkommen. Wir kritisieren seit längerer Zeit, dass der Aufbau der Polizeischulung nicht in dem Umfang von uns wahrgenommen wird, wie wir uns international dazu verpflichtet haben.
(Beifall bei der FDP)
Wenn wir raus aus Afghanistan wollen, ohne dass der Terrorismus dort sofort wieder die Überhand gewinnt, dann müssen wir dafür sorgen, dass es dort eigene staatliche Hoheits- und Sicherheitsstrukturen gibt. Deswegen ist der Polizeiaufbau, die Schulung der Polizei, in Afghanistan von ganz besonderer Bedeutung. Dass derzeit lediglich 43 Polizeivollzugsbeamte dort wirken das ist weniger als die Hälfte der Anzahl, die wir im Rahmen einer internationalen Verpflichtung bereitstellen wollten , ist und bleibt ein Defizit, das wir uns hier gemeinsam ansehen müssen.
(Thomas Oppermann (SPD): Das liegt an Bayern!)
Ich denke, wir, die wir Verantwortung tragen, und zwar alle, ob Regierung oder Opposition, müssen diesem Thema, dem Aufbau der eigenen Staats- und Sicherheitsstrukturen in Afghanistan, mehr Nachdruck verleihen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das ist ein tragischer, furchtbarer Freitag gewesen, bei dem wir alle noch nicht wissen, wie viele Opfer tatsächlich ums Leben gekommen sind. Wir wissen auch noch nicht, wer wirklich welche Verantwortung trägt. Aber eines möchte ich hier doch feststellen. Man kann es sich nicht so einfach machen, zu sagen: "Das war die Bundeswehr", und das ist es dann auch gewesen. Ich bitte, zu berücksichtigen, was in Deutschland losgewesen wäre, wenn diese beiden Tanklaster für einen Anschlag gegen uns, unsere Verbündeten und unsere Bundeswehr tatsächlich zum Einsatz gebracht worden wären. Auch das muss, denke ich, in der Abwägung im Rahmen einer wirklich sachlichen Bewertung angesprochen werden, und auch darauf möchte ich nachdrücklich aufmerksam machen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Deswegen hoffe ich von ganzem Herzen, dass eines nicht passiert: dass unsere politische Auseinandersetzung, die naturgemäß drei Wochen vor einer Bundestagwahl verschärft ist, dazu führt, dass man sich mit leichter Münze einen Wahlkampf auf dem Rücken der Frauen und Männer der Bundeswehr leistet. Sie leisten einen großartigen Einsatz, und dafür möchte ich mich an dieser Stelle bedanken.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)
Ich möchte jedenfalls für die stärkste Oppositionsfraktion in diesem Hause nachdrücklich unterstreichen, dass wir uns mit dieser Linie einverstanden erklären und dass wir sie unterstützen und kritisch begleiten werden. Aber ich bleibe dabei: Das ist eine Angelegenheit, die nicht zwischen Parteien im Wahlkampf besprochen werden sollte. Das ist kein Wahlkampfmanöver. Hier geht es um unser Land; hier geht es darum, wie wir mit unserem Land in der Welt dastehen. Es geht in Wahrheit um unsere Sicherheit, unsere Freiheit und unseren Frieden.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
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Datum: 09.09.2009 - 04:48 Uhr
Sprache: Deutsch
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