WESTERWELLE-Interview für das "Mindener Tageblatt
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WESTERWELLE-Interview für das "Mindener Tageblatt"
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende und Bundesaußenminister DR. GUIDO WESTERWELLE gab dem "Mindener Tageblatt" (Donnerstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte KARSTEN VERSICK.
Frage: Wie sehr sorgen Sie sich um ein gutes Wahlergebnis Ihrer Partei, dass Sie im Wahlkampf-Endspurt in die ostwestfälische Provinz nach Minden kommen - oder gar kommen müssen?
WESTERWELLE: Ostwestfalen-Lippe liegt mir schon deshalb am Herzen, weil ganz aus der Nähe von Minden meine Familie kommt - nämlich aus Bad Salzuflen-Schötmar. Diese Gegend kenne ich mehr als gut. Und schon das alleine wäre ein Grund, in die Heimat meiner Eltern und Großeltern zu kommen. Und wo steht eigentlich geschrieben, dass Wahlkampf nur in Köln, in Düsseldorf und im Ruhrgebiet stattfinden darf? Ich glaube, dass wir gerade in Ostwestfalen-Lippe einen Landstrich haben, dessen Wirtschaft sehr mittelständisch organisiert ist und wo auch die Bürger wissen, dass eine starke Mittelschicht die Voraussetzung dafür ist, dass in Deutschland überhaupt der Karren gezogen wird. Diese Bodenständigkeit passt sehr gut zur FDP, denn wir legen ja in der Wirtschaftspolitik einen Schwerpunkt auf den Mittelstand im Interesse neuer Arbeits- und Ausbildungsplätze. Wir glauben, dass die beste Arbeitnehmerpolitik eine Stärkung des Mittelstandes und der Mittelschicht ist. Dafür wird es - und darau f baue ich auch - eine sehr große Zustimmung gerade in Ostwestfalen-Lippe geben.
Frage: Laut Umfragen liegt die FDP derzeit zwischen sieben und acht Prozent. Sie selbst nennen "Zehn Prozent plus X" als Ziel für Sonntag. Woher nehmen Sie Ihren Optimismus? Und woher sollen die noch fehlenden zwei Prozent kommen?
WESTERWELLE: Erstens: Wir haben zum ersten Mal in Nordrhein-Westfalen ein Zwei-Stimmen-Wahlrecht wie im Bund. Das heißt, die Bürger können sich mit der Zweitstimme für die FDP und damit für eine starke Koalition mit der CDU direkt entscheiden. Zweitens: Die FDP arbeitet für ein zweistelliges Wahlergebnis vor allen Dingen, damit eine linke Mehrheit aus SPD, Grünen und Linkspartei im Landtag vermieden werden kann. Wenn es diese linke Mehrheit gibt, werden wir in der nächsten Legislaturperiode in NRW auch eine linke Regierung bekommen. Das soll dann der Probelauf für Berlin sein - und das möchte ich verhindern.
Frage: Hätten wir vor einem guten halben Jahr miteinander gesprochen, hätte ich Ihnen die vorherigen Fragen vermutlich gar nicht gestellt - zu deutlich war der Vorsprung der schwarz-gelben Koalition in NRW. Was ist in den vergangenen Monaten passiert, dass nun ein Patt oder gar der Verlust der Regierungsverantwortung für Schwarz-Gelb droht?
WESTERWELLE: Dass es ein Kopf-an-Kopf-Rennen werden würde, habe ich schon vor zwei oder drei Jahren gesagt. Die letzten fast 40 Jahre ist Nordrhein-Westfalen von SPD-geführten Kabinetten regiert worden. Es wusste jeder: Es kostet ein hartes Stück Arbeit, dass eine bürgerliche Mehrheit gegen alle Widerstände bestätigt wird. Aber wenn ich mir die Ergebnisse der Politik in Nordrhein-Westfalen ansehe, insbesondere auch die Verbesserungen bei der Bildung, bei der Forschung und bei der Ausbildung - und da hat die FDP einen wesentlichen Anteil daran -, dann ist es auch richtig, diese Regierung zu unterstützen. Beispielsweise haben wir die Steinkohle-Subventionen zurückgeführt und stattdessen neue Polizisten- und Lehrerstellen geschaffen. So verstehen wir den starken Staat, der auf Zukunft setzt.
Frage: Ministerpräsident Jürgen Rüttgers hat sich mehrfach über fehlenden Rückenwind aus Berlin beklagt. Hat der "holprige" Start der Bundesregierung zur sinkenden Zustimmung für die Landesregierung in NRW beigetragen?
WESTERWELLE: Aber wir haben in den letzten Wochen sehr viel Rückenwind - und das ist es, was am Ende zählt. Es ist doch normal, dass die Bürger bei Regierungen auch kritisch sind. Aber wenn man die Alternative sieht, nämlich eine Linksregierung aus SPD, Grünen und Linkspartei, dann werden sich sehr viele doch für die Fortsetzung von CDU und FDP entscheiden. Im Übrigen: Was Umfragen und Einschätzungen vor der Wahl angeht, erinnere ich Sie freundlich an nahezu alle Einschätzungen vor der Bundestagswahl, für Schwarz-Gelb gebe es gar keine Chance. Niemand hat der FDP ein solches Wahlergebnis zugetraut - Sie sehen, es ist dann doch anders gekommen, als alle Auguren vorausgesagt haben.
Frage: Aber die 14,6 Prozent, die die FDP bei der Bundestagswahl in NRW erreicht hat, werden es diesmal nicht?
WESTERWELLE: Wir hatten bei der letzten Landtagswahl 6,2 Prozent. Wenn wir es diesmal schaffen, zweistellig zu werden, dann wäre das doch ein schöner Erfolg - vor allen Dingen für Nordrhein-Westfalen, weil dann sicher ist, dass es keine linke Regierung gibt.
Frage: Wie sehr schaden bei diesem Bemühen die Meldungen über einen "käuflichen" Ministerpräsidenten und die jüngste Spendenaffäre der NRW-CDU der FDP?
WESTERWELLE: Ich habe mich damit nicht befasst und bitte Sie, das mit den Landespolitikern zu besprechen. Ich greife in den nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf ein, weil es meine Heimat und die Heimat meiner Familie ist, weil ich möchte, dass Deutschland und auch Nordrhein-Westfalen von der Mitte aus regiert wird und weil ich finde, dass Privat vor dem Staat kommt. Schließlich dient der Staat dem Bürger und nicht der Bürger dem Staat.
Frage: Sie kommen aus NRW - und Ihre "Beliebtheitswerte" sind seit dem Start der Koalition auf Bundesebene deutlich gesunken. Sehen Sie die Wahl am Sonntag auch als Stimmungsbarometer für sich selbst?
WESTERWELLE: Ich bin jetzt neun Jahre Parteivorsitzender und kenne das Auf und Ab der Meinungsumfragen daher schon etwas länger. Ich habe immer auch für meine klare Politik - beispielsweise für eine Stärkung unserer Wirtschaft und eine stärkere Treffsicherheit des Sozialstaates - Gegenwind bekommen. Das hat aber die Wahlergebnisse nicht verschlechtert, ganz im Gegenteil. In den Jahren, in denen ich jetzt als Parteivorsitzender arbeite, haben die Wahlergebnisse in aller Regel gestimmt. Und ich glaube, dass wir auch in Nordrhein-Westfalen beste Chancen haben, sehr gut zuzulegen und zweistellig zu werden. Das ist es, was zählt. Nur wer still stehen bleibt, tritt niemandem auf die Füße. Aber wer einen Politikwechsel in Deutschland will, zum Beispiel in die Richtung, dass derjenige, der arbeitet, wieder mehr hat, als wenn er nicht arbeitet, der erfährt natürlich auch für solche Ansichten eine Menge an Kritik. Das kann ich aber ab.
Frage: Gesetzt den Fall, die FDP erreicht das von Ihnen gesteckte Ziel nicht. Würden Sie dann darüber nachdenken, ob Ihre Doppelaufgabe als FDP-Bundesvorsitzender und Bundesaußenminister noch zu bewältigen sind?
WESTERWELLE: Ach, wissen Sie: Wenn ich die Totenglöckchen gesammelt hätte, die mir in den letzten neun Jahren geklingelt worden sind, dann hätte ich einen ganzen Schrankkoffer voll davon. Ich glaube und ich arbeite daran, dass wir ein sehr gutes Wahlergebnis bekommen - und zwar nicht unseretwegen oder um meinetwillen, sondern weil ich nicht möchte, dass 20 Jahre nach der Einheit Sozialisten in meiner eigenen Heimat etwas zu sagen haben.
Frage: Die FDP hat am vergangenen Wochenende als einzige der Parteien, die für den Einzug in den Landtag infrage kommen, eine klare Koalitionsaussage beschlossen. Ist die Bindung an die CDU eher eine Chance oder ein Risiko für die FDP?
WESTERWELLE: Ihre Frage ist taktisch. Aber unsere Entscheidung war inhaltlich. Wir wollen ja nicht regieren um des Regierens willen, sondern um wirklich eine gute Politik zu machen. Wir wollten ja nicht im Herbst 2009 auf der Bundesebene allein einen Regierungswechsel - sondern einen Politikwechsel. Zugegeben, da gab es am Anfang auch Schwierigkeiten. Aber jetzt hat die Regierung mehr und mehr gute Ergebnisse für die Bürger bewirkt. Das wird gerade auch in Ostwestfalen-Lippe sehr positiv aufgenommen.
Frage: Möglich erscheint nach den Umfragen auch eine rot-grüne Regierung? Was wäre aus Ihrer Sicht so schlimm daran?
WESTERWELLE: Vor allem die Bildungspolitik würde verheerend werden. Das beschäftigt mich sehr, weil ich selbst zunächst auf der Realschule war und weiß, wie wichtig ein maßgeschneidertes Bildungssystem ist. Die Idee der Einführung einer Einheitsschule halte ich für einen ganz schweren Fehler. Alle Menschen sind zwar vor dem Gesetz gleich; ansonsten aber sind Menschen höchst unterschiedlich. Gerade bei Kindern und Jugendlichen entwickeln sich einige schneller, einige später; manche sind praktischer begabt, andere theoretischer. Ein Einheitsschulsystem, das alles über einen Kamm schert, wird der Unterschiedlichkeit und Individualität von Kindern nicht gerecht.
Frage: Welche Folgen hätte ein Regierungswechsel in NRW aus Ihrer Sicht für die Politik auf Bundesebene? Droht dann eine Blockadepolitik im Bundesrat?
WESTERWELE: Es würde die Dinge nicht leichter machen, aber das ist es weniger, was mich beschäftigt. Die eigentliche Auswirkung auf die Bundesebene wäre, dass eine linke Mehrheit in Nordrhein-Westfalen natürlich auch der Probelauf für Berlin im Jahr 2013 werden würde. Herr Gabriel will Kanzler werden, und er weiß, das kann er nur werden mit den Grünen und der Linkspartei. Wir wissen ja, dass in Nordrhein-Westfalen meistens auch Koalitionen probiert worden sind - und das möchte ich Deutschland unbedingt ersparen. Wenn ich sehe, dass im Land Berlin Rot-Rot regiert und die Gymnasiumsplätze hier mittlerweile sogar verlost werden sollen, empört mich das sehr.
Frage: Derzeit überlagern Themen den Wahlkampf, die nicht originär mit Landespolitik zu tun haben. Jüngstes Beispiel ist die Krise in Griechenland. Viele Menschen verstehen nicht, warum auch Deutschland finanziell einspringen soll für ein Land, das jahrelang über seine Verhältnisse gelebt hat, während hierzulande kein Geld für viele dringend erforderliche Dinge vorhanden ist. Warum müssen wir den Griechen helfen?
WESTERWELLE: Ich spüre denselben Groll wie jeder Bürger. Aber die Bundesregierung muss jetzt sehr überlegt und verantwortungsvoll handeln. Wir müssen um Griechenland eine Brandmauer herumziehen, damit nicht der ganze Euro in Europa angesteckt wird. Das heißt: Wir schützen unsere Währung. Und deswegen sind wir bereit, Kredite zu verbürgen.
Frage: Heute werden die Ergebnisse der jüngsten Steuerschätzung erwartet. Es gibt erste Meldungen, dass in diesem Jahr zwei und in den folgenden Jahren bis zu 14 Milliarden Euro weniger an Steuern eingenommen werden. Können Sie diese Meldungen bestätigen? Und wird dann noch Spielraum für die von Ihrer Partei im Bundestagswahlkampf versprochenen Steuersenkungen bleiben?
WESTERWELLE: Das bedeutet ja nicht, dass weniger Geld da ist. Es bedeutet vielmehr, dass die Steuerzuwächse nicht mehr ganz so üppig ausfallen wie ursprünglich von dem einen oder anderen Schätzer gedacht. Aber in einem Bereich sind wir doch sehr froh: Es ist dieser Bundesregierung gelungen, nach der schlimmsten Rezession Deutschland auf dem Arbeitsmarkt solide durch den Winter zu bringen. Die Arbeitslosigkeit ist eben nicht explodiert auf vier bis fünf Millionen, wie viele vorhergesagt haben. Allein in NRW sind in den vergangenen fünf Jahren mehr als eine Viertelmillion neue Arbeitsplätze hinzugekommen. Das beste Beschäftigungsprogramm ist eine Wirtschaftspolitik, die auf den Mittelstand setzt, und ein faires Steuersystem, wo sich Leistung wieder lohnt.
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Datum: 06.05.2010 - 12:47 Uhr
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