Börsen-Zeitung: Vorletzter Akt, Kommentar zum griechischen Schuldendrama von Kai Johannsen
ID: 405800
Akt begonnen. Titel: Restrukturierung der Staatsschuld. Auch wenn
EU-Politiker sich noch geradezu krampfhaft gegen diesen Akt wehren
und - was durchaus löblich ist - ihn irgendwie abzuwenden versuchen,
ist an den Märkten längst klar, dass es nicht mehr um die Frage geht,
ob es zu einer Restrukturierung kommt. Diese Frage ist unter
Marktakteuren längst mit einem "Ja" beantwortet. Die beiden
entscheidenden Fragen lauten nun: Wann kommt die Restrukturierung,
und vor allem: Wie wird sie aussehen?
Eine Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters in der gerade
abgelaufenen Woche gab ein sehr deutliches Bild davon ab, wie
Marktakteure die Perspektiven einschätzen. Es wurden 28 Volkswirte,
die in Finanzinstituten auf der sogenannten Sell Side (zum Beispiel
Bond Sales) arbeiten, und 15 Fondsmanager befragt. Gerade einmal drei
Befragte glauben noch ernsthaft, dass eine Restrukturierung vermieden
werden kann. Die Experten gehen nicht von einer unmittelbar
bevorstehenden Restrukturierung aus. 80% der Befragten erwarten sie
nicht vor Oktober dieses Jahres. Rund die Hälfte der Befragten meint,
dass von heute an gerechnet noch mehr als ein Jahr ins Land gehen
wird.
Deutliches Urteil
Bei einer Restrukturierung von Verbindlichkeiten kann an
verschiedenen Stellschrauben gedreht werden. Angefangen bei einer
Laufzeitenverlängerung über Kuponstundungen oder Herabsetzungen
derselben bis hin zur Reduktion des Nominals, d.h. des ehemals
überlassenen Kapitalbetrages - besser bekannt als Haircut.
Kombinationen dieser Lösungen sind ebenfalls möglich. Rund 60% der
Fondsmanager erwarten, dass im Rahmen einer Restrukturierung
letztendlich mit einem Haircut zu rechnen ist, bei dem die Bondholder
nicht ihr gesamtes Kapital zurückbekommen. Im Mittel wird von einer
Reduktion (Haircut) von 55% des Nominals ausgegangen. Unter den
Volkswirten, die nicht täglich mit Kauf- bzw. Verkaufsentscheidungen
konfrontiert sind, erwartet rund die Hälfte einen Haircut, der mit
angegebenen 40% aber geringer ausfällt. Der Markt - gemessen an den
Spreads (Kosten) der Absicherungsinstrumente Credit Default Swaps,
die sich nicht nur in der Krise als verlässlicher Indikator für
Fundamtalentwicklungen erwiesen haben - fällt da schon ein
deutlicheres Urteil. Die am Markt gehandelte Wahrscheinlichkeit eines
Kreditereignisses liegt bei einem angenommenen Liquidationserlös der
Anleihen von 40% bei immerhin 65%. Die Erwartungen zur Höhe des
Haircuts divergieren zwischen den Volkswirten und Fondsmanagern.
Einigkeit besteht aber in einem Punkt: Die gegenwärtige Situation in
Griechenland ist nicht mehr tragbar und erfordert entsprechende
Maßnahmen. Die angegebenen Aktionsalternativen reichen von
Laufzeitenverlängerung über Zinsreduktion bis hin zum Haircut -
Restrukturierung der Staatsschuld eben. Griechenland kommt nach
Meinung des Marktes nicht mehr daran vorbei.
Rückblende: Vor einem Jahr gab es das alternativlose Rettungspaket
für den Euro. 110 Mrd. Euro Hilfe für Athen, ein Rettungsschirm von
750 Mrd. Euro und Staatsanleihekäufe der Europäischen Zentralbank
wurden beschlossen und umgesetzt. Zur Erinnerung: Politiker
erklärten, dass Griechen-Bonds sicher seien, Irland und Portugal ohne
Hilfe auskommen würden. Ein Jahr später sind es drei Rettungsfälle,
Wirkungen von Staatsanleihekäufen, über die Marktzugang gewährleistet
werden sollte, sind völlig verpufft. Athen möchte bereits weitere
Zinserleichterungen bei den Hilfskrediten - von der erdrückenden
Staatsschuld, die sich nicht verbessert hat, ganz zu schweigen. Und
jetzt? Der nächste Bail-out, mit dem das Refinanzierungserfordernis
von Athen der kommenden beiden Jahre aufgefangen wird? Denn längst
ist doch klar, dass eine Rückkehr an die Kapitalmärkte 2012, wie
ursprünglich vorgesehen, zum frommen Wunsch geworden ist. Bei 25%
Zinsen auf zwei Jahre Laufzeit ist diese Vorstellung geradezu
utopisch.
Wieder "alternativlos"?
Warum also die Zurückhaltung der Politik in der Frage der
Restrukturierung? Weil sie sich damit eingesteht, dass die bislang
ergriffenen Maßnahmen zumindest nicht den erhofften und den
öffentlich propagierten Erfolg gebracht haben. Nun wird sich die
Politik eingestehen (müssen), dass eben kein Weg mehr an der
Restrukturierung vorbeiführt. Doch damit ist ein Wandel der Rhetorik
verbunden. Die Märkte werden deshalb in den kommenden Wochen und
wahrscheinlich Monaten genau verfolgen, wie sich ebendieser
Rhetorikwandel gestalten wird. Auf Verbalakrobatik dürfen sich die
Märkte einstellen. Am Ende wird es vielleicht wieder heißen: "Die
Restrukturierung ist alternativlos."
Und nach der Restrukturierung kommt der letzte Akt: Rückkehr an
den Kapitalmarkt. In welcher Währung?
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Datum: 13.05.2011 - 20:45 Uhr
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