HAMBURGER ABENDBLATT: Inlandspresse, Hamburger Abendblatt zu den Börsen
ID: 460478
So sportlich war die Börse nie - zumindest was die
Berichterstattung betrifft. Mit dem Liveticker hält ein Mittel des
Sportjournalismus in vielen Wirtschaftsredaktionen Einzug. In einer
nie gesehenen Kurzatmigkeit wird jeder Tick des DAX auf Webseiten
dargestellt, kommentiert, aufgeblasen. Das ist bequem, weil man jede
Kursbewegung aufgeregt hochjazzen und zugleich auf Hintergründe und
Analysen verzichten kann - und so die weit verbreitete Lust am
Untergang bedient. Schon bevor am Montag der erste Kurs taxiert
wurde, hatten unzählige Experten den "schwarzen Montag" vorhergesagt.
Selbst wenn die Live-Kommentatoren mal einen Tag ohne Kurssturz
kommentieren müssen, finden sie sicher im Meer der wirtschaftlichen
Wasserstandsmeldungen eine Hiobsbotschaft, die unter das Volk
gestreut wird. Das Interesse ist überwältigend: Einige Anleger mögen
aus dem geteilten Leid Trost ziehen, viele Antikapitalisten treibt
eine klammheimliche Freude am Crash. Die Medien sind aber oft nur die
Überbringer der schlechten Nachrichten, die Investoren,
Rating-Agenturen, Volkswirte oder Politiker im Akkord produzieren.
Überall regiert die Schwarzmalerei. Was etwa den EZB-Präsidenten
Trichet bewogen hat, "von der schwersten Krise seit dem Zweiten
Weltkrieg" zu sprechen, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Vielleicht
wollte er ja auch von seinen Fehlentscheidungen ablenken, für die die
Europäische Zentralbank verantwortlich zeichnet: Sie hat in den
vergangenen Monaten gleich zweimal den Leitzins erhöht, so als hätte
das überschuldete Europa keine anderen Probleme als eine drohende
Inflation. Zugleich streiten die Politiker in der EU lautstark über
den richtigen Weg aus der Schuldenkrise, statt gemeinsam ein starkes
Signal der Einigkeit an die Märkte zu senden. Natürlich darf man die
Probleme nicht kleinreden: Wir leben in einer Welt, in der sich
mehrere Unsicherheitsfaktoren addieren: Die Schuldenkrise ist kein
auf Südeuropa beschränktes Phänomen mehr, sondern hat ganz Europa,
die USA und Japan erfasst. Zugleich verdüstert sich die
konjunkturelle Lage in den Schwellenländern, die zuletzt die
Wachstumstreiber der Weltwirtschaft waren. Und die Unruhen in
Nordafrika und Europa verunsichern zusätzlich. Und doch ist eine
Weltuntergangsstimmung fehl am Platze. Zwar ist der Kursrückgang an
den Weltbörsen zu einem Teil rational, weil sie die neuen
Unsicherheiten einpreisen. Zu einem ebenso großen Teil aber ist er
irrational, weil automatische Computerprogramme den Ausverkauf
beschleunigen. Märkte übertreiben gern - erst nach oben, nun nach
unten. Indes könnte der Crash an den Börsen erst die Krise auslösen,
vor der die Anleger sich so fürchten. Der Kursverfall kann eine
fatale Wirkung in den Volkswirtschaften entfalten, weil er Vertrauen
unterhöhlt und das Gift der Angst sät: Seinetwegen wird weniger
konsumiert und investiert, er streut Sand ins Wirtschaftsgetriebe und
kann einen Teufelskreis in Gang setzen, der alle zugleich trifft,
Anleger wie Antikapitalisten. Der kluge Satz Ludwig Erhards, die
Hälfte der Wirtschaft sei Psychologie, gilt noch immer. Vor diesem
Hintergrund sind die Horrorszenarien von Trichet & Co. nicht nur
überflüssig, sie sind gefährlich. Besser sollte sich die EZB an der
US-Notenbank orientieren: Sie hat mit dem Versprechen einer
langfristigen Niedrigzinspolitik die Märke beruhigen wollen. Doch
wenn alle hysterisch durcheinanderrufen, verpuffen auch diese letzten
Mittel.
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Datum: 11.08.2011 - 18:02 Uhr
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