Rede von Daniel Barenboim anlässlich der Verleihung des 1. Internationalen Willy-Brandt-Preises

Rede von Daniel Barenboim anlässlich der Verleihung des 1. Internationalen Willy-Brandt-Preises

ID: 506486

Rede von Daniel Barenboim anlässlich der Verleihung des 1. Internationalen Willy-Brandt-Preises



(pressrelations) - Anlässlich der Verleihung des 1. Internationalen Willy-Brandt-Preises hält der Preisträger, der Pianist und Dirigent Daniel Barenboim, folgende Rede (Es gilt das gesprochene Wort!):

Ich bedanke mich von ganzem Herzen für diesen für mich ganz besonderen Preis. Dieser Preis ist in meinen Augen kein parteipolitischer Preis, was im Wesentlichen mit der Persönlichkeit Willy Brandts und seiner politischen und menschlichen Leistung zusammenhängt. Willy Brandt war, über alle Parteigrenzen hinweg, nicht nur ein großer Bundeskanzler, sondern ein Visionär, und Visionäre sind ? damals wie heute ? allzu selten.

Ich denke nur zu gern an meine Begegnung mit Willy Brandt zurück, die in dieser Fotografie festgehalten ist. Der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker hatte 1990 die Staatskapelle Dresden als erstes Orchester aus der ehemaligen DDR nach Jerusalem eingeladen und es fand auch ein Konzert in Westdeutschland, in Köln, statt. Wir trafen uns nach diesem Konzert und hatten ein kurzes Gespräch, das mich schon damals die Frage stellen ließ, wie sich die Besonderheit Willy Brandts erklären lässt?

Warum halten auch Generationen später junge Menschen Willy Brandt immer noch für einen der bedeutendsten Staatsmänner, den wir je gesehen haben? Der Grund liegt entscheidend in Willy Brandts Art zu denken und zu handeln. Wir erleben oftmals, dass Politik zur reinen Machtpolitik wird, in der nur mehr rein taktische Überlegungen zum Machterhalt eine Rolle spielen. Tatsächliche Probleme werden deshalb nicht gelöst, da manche Politiker vor allem mit Taktieren beschäftigt sind. Dies macht die mehr als nur oberflächliche Beschäftigung mit politischen Inhalten unmöglich. Im Gegensatz zu den meisten anderen Politikern aber dachte Willy Brandt nicht nur taktisch, sondern auch strategisch. Er war ein unabhängiger Denker, der die Maxime seines Handelns nicht von machtpolitischen Interessen abhängig machte und sogar Entscheidungen traf, die den eigenen Machterhalt gefährdeten und letztlich aufs Spiel setzten.



In der Musik erleben wir, dass eine Modulation nur entsteht, wenn es eine Strategie gibt, sie kann nicht nur Taktik des Augenblickes sein. Gleiches gilt meines Erachtens auch in der Politik. Willy Brandt war bereit, scheinbar unpopuläre Entscheidungen zu fällen, um langfristige Ziele zu erreichen. Auch ein guter Dirigent muss seine musikalischen Entscheidungen nicht im Hinblick auf schnelle Popularität bei Publikum und Musikern treffen, sondern im Rahmen einer langfristigen Strategie.

Willy Brandts ikonenhafter Kniefall in Warschau war, damals wie heute, ein äußerst mutiger Akt, der durch seine menschliche Tiefe die Versöhnung zwischen den betroffenen Völkern erst möglich gemacht hat. Ich bin überzeugt, dass, wenn er heute noch lebte, er den gleichen Mut im Bezug auf den Nahostkonflikt aufbringen würde. Der Mut zum strategischen und visionären Denken, den er mit seinem Kniefall bewies, würde sich auch ausdrücken in seiner Haltung zu Israel: er hatte den Mut zu sehen, dass das jüdische Volk zwar deutsche Hilfe braucht, unbedingt, aber keine blinde Ergebenheit. Er erkannte Deutschlands historische Verantwortung, aber war sich dessen bewusst, dass Teil dieser Verantwortung auch war, der israelischen Regierung kritische Fragen zu stellen. Ein guter Freund lässt den Freund nicht nur gewähren, er weist ihn auch auf Fehler hin. Diese Haltung charakterisierte sein politisches Handeln.

In einer Rede 1982 in London sagte er richtig, dass "die Gefahr von Rassenhass im Allgemeinen und Antisemitismus im Besonderen bei weitem nicht gebannt [ist]. Unsere Wachsamkeit bleibt gefordert." Aber ebenso sagte er, dass es ihm "im Hinblick auf die Politik der israelischen Führung schwerfällt, sorgenvolle Fragen zu unterdrücken." Was würde er nur heute, fast dreißig Jahre später, sagen? Damals merkte er zu Recht an, dass das Existenz- und Lebensrecht des jüdischen Staates in arabischen Überlegungen zur Lösung des Konfliktes kaum noch bestritten wird und appellierte an die Kompromissbereitschaft der israelischen Führung. Wo in Deutschland, sei es bei Zivilisten oder Politikern, trifft man heute eine derart reflektierte und ehrliche Haltung gegenüber Israel an?

Der von mir angeführte Unterschied zwischen rein taktischem und strategischem Denken wird überdeutlich im folgenden Zitat Willy Brandts: "Ich habe keinen Friedensplan für den Nahen Osten vorzutragen.[...] Worüber ich sprechen kann, ist die Idee der Entspannung und die Notwendigkeit von Friedenspolitik, über einen Lernprozess ? einen schmerzhaften aber erfolgreichen Prozess ? den das Land, aus dem ich komme, in den 60er Jahren durchgemacht hat. [...] Kernstück jenes Lernprozesses war die ehrliche und bewusste Anerkennung von Realitäten ? gleichbedeutend mit dem Verzicht auf den Versuch, mit Gewalt die bestehende Lage [...] zu revidieren. "

Genau dies, die Anerkennung von Realitäten und der beiderseitige Gewaltverzicht, muss nun auch im Nahen Osten endlich geschehen. Es stimmt mich traurig zu sehen, dass die Palästinenser davon abgehalten werden, sich als funktionsfähiger Staat zu zeigen. Der palästinensische Antrag auf Staatlichkeit bei den Vereinten Nationen wird durch Vetos von genau den Staaten geblockt, die die Palästinenser vorher zu ihrem Antrag ermutigt hatten. Diese Politik der Unehrlichkeit lässt den Frieden nur in noch weitere Ferne rücken.

Meine Erfahrung ? auch im West-Östlichen Diwan Orchester ? ist, dass gerade die junge Bevölkerung sowohl in Israel als auch in Palästina zunehmend nach Offenheit und Menschlichkeit strebt und die endlosen Verhandlungen und den politischen Stillstand satt hat. Letztlich handelt sich nicht um einen politischen Konflikt zwischen zwei Nationen, sondern einen menschlichen Konflikt zwischen zwei Völkern, die zutiefst davon überzeugt sind, jeweils ein ureigenes Recht auf das gleiche Stück Land zu haben.

Nicht zuletzt angesichts der revolutionären Entwicklungen im Bereich der Kommunikation müssen auch im Nahostkonflikt dringend neue Wege der Transparenz und Beteiligung gegangen werden. Als ein besonders eindrucksvolles Resultat der neuen Macht der Kommunikationsmittel haben wir in diesem Jahr die Anfänge der Revolutionen in Ägypten oder Tunesien erleben können, auch wenn das Endergebnis noch nicht abzusehen ist und möglicherweise sehr negativ sein könnte.

Willy Brandts Vision der Entspannungspolitik ist eine im Nahostkonflikt schmerzlich vermisste Perspektive. Schon in den 80er Jahren erkannte Willy Brandt die Notwendigkeit einer europäischen Haltung, die "phantasievolleres als Druck" aufzubieten hatte, nämlich die Fähigkeit, beiden Seiten glaubhaft eine Friedensvision zu vermitteln.

Europa muss jetzt, nicht anders als in der Finanzkrise, entschiedener handeln. Die Gefahr keine Lösung zu finden wird sonst immer grösser ? für Israel, für Palästina und für Europa.

Mein Wunsch für die Zukunft, wenn ich einen äußern darf, wäre, dass Politiker sich auf das Vorbild Willy Brandts besinnen und ihr Denken und Handeln auf drei wichtigen Eigenschaften basieren: Vision, Strategie und Mut. Nur so kann ein Politiker unabhängig denken, nur so ist er nicht nur ein Sprecher einer Mehrheit oder Minderheit, sondern ein Sprecher des unabhängigen Denkens. Wie Willy Brandt.


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Herausgeberin: Andrea Nahles
Redaktion: Tobias Dünow
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Datum: 25.10.2011 - 12:45 Uhr
Sprache: Deutsch
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