WESTERWELLE-Gastbeitrag für die „Frankfurter Rundschau“ (08.04.2009)
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WESTERWELLE-Gastbeitrag für die „Frankfurter Rundschau“ (08.04.2009)
Berlin. Der FDP-Partei- und –Fraktionsvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE schrieb für die „Frankfurter Rundschau“ den folgenden Gastbeitrag:
„Die Renaissance kennen wir aus der Kunst und Kultur und der Geistesgeschichte als die Wiederkehr oder Wiedergeburt. Über eine Wiederkehr des Staates zu sinnieren scheint mir abwegig - er war ja nie weg. Die Staatsquote in Deutschland beträgt immer noch etwa 50 Prozent, während sie in meinem Geburtsjahr 1961 nur etwa ein Drittel ausmachte. Bis zu 52 Prozent des durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommens gehen, so sagt die OECD, in Form von Steuern und Abgaben an den Staat. Derselbe Staat, der die Wirtschaft mit 30 Milliarden Euro Bürokratiekosten pro Jahr belastet und mit penetranter Leidenschaft gesetzgeberisch jeden Rauchkringel vermisst, hat trotz größter Behörde bei der Bankenaufsicht offensichtlich jahrelang nicht genügend hingesehen. Wenn die staatliche Bankenregulierung und Bankenaufsicht versagt, so ist das doch kein Marktversagen, sondern ein Staatsversagen. Wir haben nicht zuwenig Staat, wir haben den fetten Staat an der falschen Stelle.
Es geht also nicht um eine Wiederkehr des Staates, es geht um eine bessere Treffsicherheit des Staates. Wir Liberale bejahen den Staat. Täten wir das nicht, dann wären wir Anarchisten. Wir bejahen sogar den starken Staat. Als Fingerzeig, dass uns Liberalen diese Grundhaltung nicht erst seit Ausbruch der Finanzkrise eingefallen ist, erlaube ich mir, aus meiner Rede als Parteivorsitzender auf dem FDP-Bundesparteitag 2002 zu zitieren: „Wir wollen eben keinen schwachen Staat. Wir wollen einen starken Staat. Stark ist der Staat, der sich auf seine Kernaufgaben konzentriert. Schwach ist der Staat, der sich beliebig in Dingen verliert, wo er nichts zu suchen hat.“
Es ist beunruhigend, dass der Staat bei seinen Hoheitsaufgaben immer mehr nachlässt. Äußere Sicherheit, innere Sicherheit, die soziale Sicherheit, die ökologische Sicherheit, Bildung als Bürgerrecht, Infrastruktur, kulturelle Vielfalt – in all diesen Kernbereichen der staatlichen Verantwortung wird mehr und mehr der Mangel verwaltet. Gleichzeitig macht der Staat Schulden in Rekordhöhe, obwohl er gerade erst die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland über die Bürger gebracht hat. Wir werfen der Regierung nicht vor, dass die Wirtschaftskrise da ist, sondern dass sie selbst in guten konjunkturellen Zeiten trotz größter Steuererhöhungen immer noch Schulden gemacht hat - sie hat in den berühmten fetten Jahren für die mageren in keiner Weise vorgesorgt.
Professor Ralf Dahrendorf stellte schon vor gut einem Vierteljahrhundert die prophetische Frage: „Was, wenn die Hoffnungen der Menschen sich auf einmal vom Staat abwenden, weil er nicht mehr als wohlwollend empfunden sondern als teurer Versager gesehen wird?“ Merken wir denn nicht, dass die anhaltende Überforderung des Staates nicht nur die Gefahr der Unfinanzierbarkeit mit sich bringt, sondern genau diese Entwicklung befördern kann?
Von der Hypo Real Estate über die IKB zu den Landesbanken, von Opel bis zu Schaeffler oder Conti, alle diese Unternehmen gerettet - und am Schluss Deutschland pleite? Diese Fragestellung ist gar nicht so hypothetisch, wenn man weiß, dass das Risiko allein bei der HRE auf bis zu 235 Milliarden Euro geschätzt wird und der gesamte Bundeshaushalt nur etwas mehr als 290 Milliarden Euro ausmacht. Dazu kommt: Je größer die Verpflichtungen sind, die für die Bürger daraus entstehen, desto sorgfältiger müsste gehandelt werden. In der Bundesregierung herrscht eher die gegenteilige Auffassung – je größer die Beträge, für die der Steuerzahler herhalten soll, desto schneller wird ein Gesetz durch den Bundestag gebracht, desto geringer ist die Intensität der Beratungen, und desto beleidigter reagiert man auf den Versuch einer soliden parlamentarischen Kontrolle.
Wer den schlanken Staat will, fordert nicht den schwachen Staat. Der fette Staat ist kein fitter Staat. Der bescheidene Staat ist der stärkere Staat. Das hat nichts mit mangelndem Verantwortungsbewusstsein zu tun. Im Gegenteil: Schon in unseren „Wiesbadener Grundsätzen“ von 1997, die die „Freiburger Thesen“ eines Karl Hermann Flach fortgeschrieben haben, haben wir auf den zwingenden Zusammenhang von Freiheit und Verantwortung hingewiesen. Liberalismus will Freiheit durch Verantwortung statt Freiheit von Verantwortung. Freiheit ist nicht Egoismus, Freiheit ist Verantwortung.
Die Herausforderungen der Weltwirtschaftskrise lassen sich nur bewältigen, wenn der Staat die Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft beachtet und seine begrenzten Mittel klug in strukturelle Reformen investiert. Der Staat kann Heilungsprozesse in der Wirtschaft nicht ersetzen, sondern nur den notwendigen Rahmen dafür schaffen. Das wäre das Gebot der Stunde: Wir müssen den Problemdruck der Krise nutzen, um die Chancen der Krise zu ergreifen und die strukturellen Umbauten zu erledigen, die ohnehin seit vielen Jahren überfällig sind. Dazu gehört ein faires Steuersystem, das das gesellschaftliche Rückgrat unseres Landes, nämlich die Mittelschicht, nicht länger schikaniert. Dazu gehört, die bürokratischen Bremsen zu lösen, indem beispielsweise Modellregionen endlich zugelassen werden - den Vorschlag dazu hat übrigens vor Jahren schon einmal Wolfgang Clement als Wirtschaftsminister zu Recht gemacht. Dazu gehört, die Energiepolitik zu entideologisieren, damit in einem rationalen Energiemix rund 40 Milliarden Euro privater Gelder investiert werden können, ohne dass es den Staat auch nur einen Cent kostet. Dazu gehört, ein Flughafenkonzept seitens des Bundes zu erarbeiten, wodurch wiederum bis zu 20 Milliarden Euro privater Mittel investiert werden können. Neunzig Prozent der Investitionen werden in Deutschland von Privaten getätigt. Wir könnten noch hundert staatliche Konjunkturprogramme auflegen, die nichts helfen werden, wenn die privaten Investitionen nicht wieder in Gang kommen.
Erst wenn die Bürger dauerhaft und verlässlich damit rechnen können, dass ihnen und ihren Familien mehr von ihrer eigenen Arbeit übrig bleibt, wächst das Vertrauen, das man für wachsende Konjunktur auch braucht. Erst kommt der Bürger, dann kommt der Staat. Diese Haltung macht den starken Staat aus.“
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Datum: 08.04.2009 - 15:32 Uhr
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