WESTERWELLE-Interview für die ?Stuttgarter Zeitung?
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WESTERWELLE-Interview für die ?Stuttgarter Zeitung?
Frage: Die Institute haben ihre Wirtschaftsprognose für das nächste Jahr vorgelegt, die Bundesregierung hat eine Daumenpeilung abgegeben. Wie sieht Ihre aus?
WESTERWELLE: Ich weiß nicht, ob es minus fünf, minus sechs oder minus sieben Prozent werden und ob die Krise Ende des Jahres oder Mitte 2010 vorbei ist. Aber ich weiß, dass die Krise Anlass für jene Strukturreformen sein muss, die seit Jahren überfällig sind. Dazu gehört ein faires Steuersystem.
Frage: Schrumpfende Wirtschaft heißt sinkende Steuereinnahmen. Das sind schlechte Aussichten für eine Partei, die massive Steuersenkungen verspricht.
WESTERWELLE: Nachdem die Regierungsparteien unnötig Schulden angehäuft haben, behaupten sie, wir könnten uns ein neues Steuersystem nicht leisten. Wir sagen: Gerade wenn wir gesunde Staatsfinanzen wollen, dürfen wir auf ein faires Steuersystem nicht verzichten. Das ist Voraussetzung für die Konsolidierung, weil nur Wachstum Arbeit schafft und nur Steuern zahlen kann, wer arbeitet.
Frage: Sie versprechen Entlastungen von 35 Milliarden Euro. Das ist viel Geld.
WESTERWELLE: Wenn es uns mit einem fairen Steuersystem gelänge, nur zehn Prozent aus der Schwarzarbeit zurückzuholen, würden die Staatsfinanzen sprudeln. Dazu haben wir 400 Vorschläge gemacht, wie man jährlich einen zweistelligen Milliardenbetrag einsparen könnte. Der Staat muss sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren und darf das Geld nicht länger verplempern. Wir müssen endlich über die Staatsausgaben sprechen.
Frage: Wo wollen Sie kürzen?
WESTERWELLE: Ein Beispiel ist die Entwicklungshilfe für China, das uns bei den größten Wirtschaftsnationen überholt. Das sind seit 2003 immerhin etwa 400 Millionen Euro. Oder die Bundesagentur für Arbeit, die Milliardenzuschüsse aus dem Bundeshaushalt bekommt. Als wir fünf Millionen Arbeitslose hatten, hatte die Agentur rund 90 000 Beschäftigte. Jetzt sind es gut drei Millionen Arbeitslose und mehr als 100 000 Beschäftigte.
Frage: Wahrscheinlich ist nicht gerade von China die aggressivste Lobbyarbeit im Sinne der Besitzstandswahrung zu erwarten. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, wie schwierig Haushaltskonsolidierung ist.
WESTERWELLE: Schon die Frage zeigt, dass es möglich ist, ein faires Steuersystem ohne steigende Schulden durchzusetzen. Da darf man sich dem Druck einiger Lobbyisten allerdings nicht beugen. Politik a la Freibier wie bei der unsinnigen Abwrackprämie darf es nicht geben. Das böse Erwachen in der Autoindustrie und bei den Zulieferern kommt nach der Abwrackprämie.
Frage: Es sind schon viele Steuerreformen versprochen worden. Wie glaubwürdig können Sie sein, wo das doch nie eingehalten wurde?
WESTERWELLE: Die FDP ist nicht für die Steuerlüge der SPD verantwortlich. Die regiert nur, weil sie vor der letzten Bundestagswahl eine Erhöhung der Mehrwertsteuer abgelehnt hat und sie hinterher um drei Prozent heraufgesetzt hat.
Frage: Mit welchem Partner sehen Sie Chancen, Ihre Politik durchzusetzen?
WESTERWELLE: Mit der Union. Sonst sehe ich derzeit keine Chance.
Frage: Stimmt es Sie nicht nachdenklich, wie lobend die Kanzlerin sich neuerdings über die große Koalition äußert?
WESTERWELLE: Sehr nachdenklich. Dass sie die Arbeit mit Herrn Steinmeier und der SPD lobt und die FDP gleichzeitig für ihr marktwirtschaftliches Engagement kritisiert, ist sicher auch ein Grund, warum viele Wähler mittlerweile zur FDP kommen. Sie goutieren die sozialdemokratische Kuschelei der Union nicht.
Frage: Wieviel von Ihrer Wunschpartnerin von 2005 steckt noch in Angela Merkel?
WESTERWELLE: Ich heiße Guido Westerwelle und nicht Sigmund Freud.
Frage: Sehen Sie die Kanzlerin nah genug beim FDP-Steuerkonzept verortet, dass Sie es für durchsetzbar halten?
WESTERWELLE: Ich habe nie behauptet, dass das Steuerkonzept der FDP, wenn wir am 27. September die Regierungsverantwortung übertragen bekommen, am 1. Januar im Gesetz steht. Das wird kein Spaziergang, sondern eine Herkulesaufgabe. Aber wenn wir das nicht anpacken, bleibt der, der in Deutschland arbeitet, der Depp der Nation.
Frage: Entlastungen kommen also frühestens 2012 oder 2013?
WESTERWELLE: Nein. Aber wir brauchen eine ganze Legislaturperiode, um alles, was wir uns in der Steuerpolitik vorgenommen haben, zu realisieren. Wir können kurzfristig mit Entlastungen beginnen ? etwa bei der Mehrwertsteuer. Es darf nicht sein, dass auf Tafelwasser oder Kinderbedarf der volle Steuersatz erhoben wird, und bei Katzennahrung und Skiliften sind es sieben Prozent.
Frage: Sie haben immer wieder die Sozialdemokratisierung der Union gegeißelt?
WESTERWELLE: Das Wort stammt von Friedrich Merz, und ich finde, er hat recht.
Frage: Warum legen Sie sich dann auf die Union als Koalitionspartner fest?
WESTERWELLE: SPD und Grüne werden nicht dadurch schöner, dass die Union hässlicher wird. Die Union rutscht nach links. Aber SPD und Grüne haben den strammen Marsch in Richtung auf ein Linksbündnis mit Lafontaine begonnen. Die eigenen Leute bezeichnen das SPD-Programm als das linkeste der letzten fünfzig Jahre. Die Grünen-Spitze wurde von der Basis abgemeiert, weil sie in Richtung FDP geblinkt hat. Damit ist offenkundig: Die passen nicht zu uns.
Frage: Müntefering scheint sich nach einer Neuauflage des schwarz-gelben Lagerwahlkampfs von 2005 zu sehnen.
WESTERWELLE: Es geht nicht um Parteitaktik. Es ist für Deutschland notwendig, die soziale Marktwirtschaft zu revitalisieren. Wir verzichten lieber auf Ministerposten, als unsere Überzeugungen zu verraten oder unser Wort zu brechen. Das haben wir 2005 bewiesen. Auf der Grundlage dieses SPD-Programms geht eine Koalition nicht.
Frage: Müssen Sie der SPD nicht dankbar sein für ihre Pläne zur Reichensteuer?
WESTERWELLE: Das trifft zum Beispiel Handwerker, und die kann man wirklich nicht zu den Reichen zählen. Wenn ein Handwerker 10 000 Euro im Monat hat, dann ist das nicht sein persönliches Einkommen, sondern sein gesamtes Betriebsergebnis. Was hier als Anti-Reichenpolitik verkauft werden soll, ist gegen die Mittelschicht gerichtet.
Frage: Zur Zeit gibt es Warnungen vor sozialen Unruhen. Sehen Sie diese Gefahr?
WESTERWELLE: Den Menschen, die in sozialen Schwierigkeiten stecken, versprechen Linke, Grüne, SPD und leider auch wachsende Teile der Union höhere Sozialleistungen. Wir sagen: Wir lassen niemanden durch den Rost fallen. Aber gleichzeitig holen wir die Betroffenen durch gute Wirtschaftspolitik aus ihrer schwierigen Lage raus.
Frage: Wie bewerten Sie die Lage bei Opel? Fiat bietet sich als Investor an, der Betriebsrat kritisiert das scharf.
WESTERWELLE: Ich war erleichtert, dass ein weltweit bekannter Investor wie Fiat Interesse hat bei Opel einzusteigen. Es überrascht mich, dass Gewerkschaftler bei Opel das sofort abgelehnt haben. Ich war wirklich überrascht, wie brüsk und schnell dieser Investor abgelehnt worden ist. Ich sehe nicht, dass da hundert andere Schlange stehen.
Frage: Vor der Europa- und der Bundestagswahl kommt die Wahl des Bundespräsidenten. Müsste die Union Horst Köhler stärker unterstützen?
WESTERWELLE: Das muss die Union mit sich selbst ausmachen. Ich bin überzeugt, dass unser Bundespräsident im ersten Wahlgang nicht nur alle Stimmen der FDP und fast alle Stimmen der Union erhält, sondern dass auch zahlreiche Sozialdemokraten und bürgerliche Grüne ihn wählen. Sie finden es nicht vernünftig, einen Bundespräsidenten mit den Stimmen der Linkspartei abzuwählen. Ich bin optimistisch, dass es nur einen Wahlgang geben wird.
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Datum: 27.04.2009 - 11:11 Uhr
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