Zum Beschleunigungsverfahren in Haftsachen
ID: 101400
Zum Beschleunigungsverfahren in Haftsachen
Die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die zulässige Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung angenommen, soweit sie sich gegen die Anordnung der Haftfortdauer richtet. Dem in Haftsachen gebotenen Beschleunigungsgrundsatz wurde bei den zugrundeliegenden Entscheidungen keine Rechnung getragen.
Die angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts lassen die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Beschuldigten und dem staatlichen Strafverfolgungsanspruch nicht erkennen und waren daher aufzuheben. Bei der bei einer erneuten Entscheidung vorzunehmenden Abwägung über die Haftfortdauer wird das Oberlandesgericht zu berücksichtigen haben, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit der Dauer der Untersuchungshaft die Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit in einer Haftsache zunehmen. Im Rahmen der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch und dem Strafverfolgungsanspruch kommt es auf die durch objektive Kriterien bestimmte Angemessenheit der Verfahrensdauer an, wobei mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft höhere Anforderungen an das Vorliegen eines sie rechtfertigenden Grundes zu stellen sind. Dies bedingt eine auf den Einzelfall bezogene Analyse des Verfahrensablaufs.
Allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung können nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft herangezogen werden. Es ist nicht entscheidend, ob eine einzelne verzögert durchgeführte Verfahrenshandlung ein wesentliches Ausmaß annimmt, sondern ob die vorliegenden Verfahrensverzögerungen in ihrer Gesamtheit eine Schwelle erreichen, die im Rahmen der Abwägung die Anordnung einer weiteren Fortdauer der Untersuchungshaft nicht mehr erlaubt.
Nach diesen Maßstäben muss das Oberlandesgericht den Verfahrensgang bewerten. Dabei wird es im vorliegenden Fall zu berücksichtigen haben, dass das Verfahren nach der Abfassung des erstinstanzlichen Urteils nicht ausreichend gefördert wurde. Insbesondere der Zeitraum zwischen der Anordnung und tatsächlichen Zustellung des amtsgerichtlichen Urteils sowie die späte Zuleitung der Akten an die Staatsanwaltschaft deuten darauf hin, dass das Verfahren von Geschäftsstelle und Kanzlei des Amtsgerichts wie ein Strafverfahren gegen einen auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten behandelt und den besonderen Anforderungen an die Verfahrensbeschleunigung in Haftsachen nicht Rechnung getragen wurde. Weitere vermeidbare Verfahrensverzögerungen könnten bei der Bearbeitung durch das Berufungsgericht entstanden sein. Ein sachlicher Grund dafür, dass zwischen Akteneingang beim Landgericht am 26. Juni 2008 und dem Hauptverhandlungstermin am 27. Januar 2009 ein Zeitraum von sieben Monaten lag, lässt sich jedenfalls den Verfahrensakten nicht entnehmen.
Die gegen den Haftbefehl selbst gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde dagegen nicht zur Entscheidung angenommen und von einer Begründung insoweit abgesehen.
URL: www.bundesverfassungsgericht.de
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Datum: 08.07.2009 - 17:41 Uhr
Sprache: Deutsch
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