Verfassungsbeschwerde wegen überlanger Verfahrensdauer erfolgreich
ID: 108900
Verfassungsbeschwerde wegen überlanger Verfahrensdauer erfolgreich
Die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin angenommen, soweit sie eine Verletzung ihres aus Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Rechts auf effektiven Rechtsschutz rügt. Die bisherige Dauer des Verfahrens begründet einen Verfassungsverstoß. Auch wenn die Beschwerdeführerin durch ihr Prozessverhalten zur Länge des Verfahrens beigetragen hat, ist es nach Abwägung sämtlicher Umstände verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar, dass der Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens nach über 22 Jahren noch nicht absehbar ist. Das Landgericht ist nunmehr gehalten, unverzüglich geeignete Maßnahmen zu ergreifen, die zu einem möglichst raschen Abschluss des Verfahrens führen. Angesichts der Außergewöhnlichkeit der verfassungswidrigen bisherigen Gesamtdauer wird auch das Präsidium des Landgerichts Sorge für die Sicherstellung von Rahmenbedingungen zu tragen haben, unter denen die Kammer das Verfahren bestmöglich fördern kann.
In der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass sich aus Art. 2 Abs. 1 iVm dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes für bürgerlichrechtliche Streitigkeiten im materiellen Sinn ableiten lässt und sich daraus die Verpflichtung der Fachgerichte ergibt, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss zu bringen. Die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens ist aber stets nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles zu bestimmen. Es gibt keine allgemeingültigen Zeitvorgaben; verbindliche Richtlinien können auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht entnommen werden.
Bei der Frage der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der Verfahrensdauer im vorliegenden Fall ist zu bedenken, dass die Bestimmung der Schadensersatzhöhe in Anbetracht der Schwierigkeit der Bewertung von Kiesgrundstücken nicht unerhebliche Probleme aufwirft, zumal angesichts der unübersichtlichen Rechtsverhältnisse unklar ist, welche Belastungen der Grundstücke im Zeitpunkt der Zwangsversteigerung bestanden. Überdies ist zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin durch eine Vielzahl von Fristverlängerungsanträgen, mehrfache Anwaltswechsel, vier Befangenheitsanträge, mehrfache Klagänderungen sowie durch das von ihr veranlasste Nichtfortführen des Verfahrens zwischen 1991 und 1993 selbst erhebliche Verzögerungen verursacht hat.
Gleichwohl sind hier angesichts der außergewöhnlich langen Verfahrensdauer die Grenzen des für einen Prozessbeteiligten unter dem Gesichtspunkt effektiven Rechtsschutzes noch Hinnehmbaren deutlich überschritten: Die Pflicht zur nachhaltigen Beschleunigung des Verfahrens durch die Fachgerichte wird dadurch verstärkt, dass die Beschwerdeführerin durch den Rechtsstreit erheblichen finanziellen Lasten ausgesetzt ist. Außerdem hat sie trotz Zuerkennung von Zweidritteln des Anspruchs dem Grunde nach auch nach beinahe 19 Jahren noch keinen vollstreckbaren Titel erhalten.
Zu justiziell zu verantwortenden Verfahrensverzögerungen ist es im Zusammenhang mit Wechseln in der Besetzung der entscheidenden Kammer gekommen, die eine zeitweise Untätigkeit des Landgerichts zur Folge hatten. Diese sind dem Staat jedenfalls insoweit zuzurechnen, als sie durch eine anderweitige Organisation hätten verhindert werden können. Dies gilt insbesondere für voraussehbare personelle Engpässe.
Entscheidend für die Feststellung des Verfassungsverstoßes ist, dass sich das Landgericht angesichts der außergewöhnlich langen Verfahrensdauer nicht darauf hätte beschränken dürfen, das Verfahren wie einen gewöhnlichen, wenn auch komplizierten Rechtsstreit zu behandeln. Vielmehr hätte es unter Zugrundelegung seines rechtlichen Ausgangspunktes sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Verfahrensbeschleunigung nutzen müssen. Gegebenenfalls wäre es gehalten gewesen, sich um gerichtsinterne Entlastungsmaßnahmen zu bemühen. Es ist nicht ersichtlich, dass das Landgericht besondere Maßnahmen zur Beschleunigung des Verfahrens ergriffen hätte. Eine Beschleunigung war hier jedenfalls nicht ausgeschlossen. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Beweisaufnahme. Bereits bei Einholung des ersten Gutachtens hatte das Landgericht erkannt, dass ein weiteres Gutachten zur Bewertung der Kiesvorkommen erforderlich sein würde. Dies hätte es jedenfalls unverzüglich nach Eingang des ersten Gutachtens, wenn nicht schon parallel in Auftrag geben müssen. Überdies hätte das Landgericht die Hauptsache während der schwebenden Beschwerdeverfahren über die Prozesskostenhilfeentscheidungen weiter betreiben können. Der organisatorische Aufwand für die Anfertigung eines Aktendoppels konnte angesichts der Verfahrensdauer keinen Hinderungsgrund darstellen.
Soweit die Beschwerdeführerin sich gegen die Prozesskostenhilfeentscheidungen wendet, wurde die Verfassungsbeschwerde mangels Erfolgsaussicht nicht zur Entscheidung angenommen.
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Datum: 07.08.2009 - 19:17 Uhr
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