F.A.Z. - Volltext-Auskopplung aus dem FAZ-Interview (Donnerstagausgabe) mit Bundeskanzlerin Merkel
ID: 168658
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Frage: Frau Bundeskanzlerin, regieren Sie ein dekadentes spätrömisches Reich
deutscher Nation?
Antwort: Ich regiere ein großartiges Land mit einer christlich-liberalen
Koalition und das in einer Zeit mit der schwersten Wirtschaftskrise seit
Jahrzehnten. Wir haben durch diese Krise eine Vielzahl wahrlich schwieriger
Aufgaben zu lösen.
Frage: Warum haben Sie sich von der Wortwahl Ihres Vizekanzlers und
Außenministers Westerwelle distanziert, der in der Diskussion über den deutschen
Sozialstaat "spätrömische Dekadenz" ausgemacht haben wollte?
Antwort: Koalitionen bestehen aus Parteien und jede Partei führt Diskussionen
eigenständig auf ihre Weise, das soll auch so bleiben. Ich möchte aber
vermeiden, dass durch bestimmte Formulierungen wie etwa "Man muss noch sagen
dürfen" der Eindruck entstehen kann, es werde etwas ausgesprochen, was nicht
selbstverständlich ist, als gebe es also ein Tabu. Das trifft ja gerade bei der
Umsetzung des Hartz IV-Urteils und beim sogenannten Lohnabstandsgebot nicht zu.
Frage: Westerwelle hat bloß etwas Selbstverständliches gesagt?
Antwort: Für alle Mitglieder der Bundesregierung ist es selbstverständlich, dass
jemand, der arbeitet, mehr bekommen muss, als jemand, der nicht arbeitet. Dazu
herrscht große Übereinstimmung, bis in die Oppositionsparteien hinein.
Selbstverständliches sollte selbstverständlich bleiben, damit man in der Sache
zu guten Ergebnissen kommen kann. Ich erspare Ihren Lesern im übrigen die
Aufzählung aller Parteitagsbeschlüsse der CDU oder unzähliger Reden von mir
exakt zu diesem Punkt. Unsere Rechtslage zu den Sanktionsmöglichkeiten bei
Pflichtverletzungen von Hartz IV-Leistungsempfängern zählt außerdem schon heute
zu den strengsten in der EU.
Frage: Hat die FDP bereits konkrete Forderungen gestellt zur Neuregelung von
Hartz IV?
Antwort: Es gibt konkrete Vorstellungen von allen drei Regierungsparteien. Schon
in der Zeit der großen Koalition hatte die Union die Absicht, die
Zuverdienstmöglichkeiten für Hartz IV-Empfänger zu verbessern, was allerdings am
Widerstand der SPD gescheitert war. Jetzt in der christlich-liberalen Koalition
wollen wir die Zuverdienstmöglichkeiten vereinfachen. Wir sind uns einig, dass
die Anreize für Hartz IV-Empfänger, zur Aufnahme einer Beschäftigung noch
verbessert werden können. Wir werden das in einer kompakten Gesetzesinitiative
ändern.
Frage: Westerwelle will demnach im Grunde, was schon Jürgen Rüttgers forderte:
die Grundrevision von Hartz IV?
Antwort: Die Änderungen, die wir als Koalition angehen, betreffen die Neuordnung
der Job-Center, die Neuregelung der Regelsätze nach dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts und wie gesagt die Möglichkeiten des Zuverdienstes.
Dazu kommt noch die gemeinsam beschlossene Änderung der Erhöhung des
Schonvermögens, weil Union wie FDP der Meinung sind, dass Eigeninitiative zur
Altersvorsorge nicht bestraft werden sollte. Der Hinzuverdienst zu Hartz IV soll
neu geregelt werden, damit die Anreize auch mehr als 100 Euro hinzuzuverdienen,
verbessert werden.
Frage: Wo wollen Sie die zig Milliarden, die künftig jedes Jahr gespart werden
müssen, denn wegnehmen, wenn nicht bei Leistungsgesetzen wie Hartz IV?
Antwort: Das Bundesverfassungsgericht hat die sozialstaatliche Verbürgung des
Existenzminimums deutlich gestärkt. Die Richter haben uns aufgefordert, die
Regelsätze für Erwachsene zu prüfen, auch wenn die geltenden nicht evident
falsch sind. Damit gelten die heutigen Sätze als Orientierungspunkt. Für Kinder
müssen die Sätze völlig eigenständig und nicht wie bisher als bloßer Prozentsatz
der Erwachsenen-Sätze errechnet werden. Hinzu kommt, dass Bildungsleistungen für
Kinder anders als heute berücksichtigt werden müssen. Das könnte auch als
Sachleistungen erfolgen. Diese Arbeit müssen wir in diesem Jahr leisten. Was das
Konsolidieren angeht, so werden wir die Vorgaben der Schuldenbremse einhalten.
Diese Koalition hat sich dabei das vorrangige Ziel gesetzt, mehr Wachstum zu
erzeugen. Wachstum heißt vor allem, mehr Beschäftigung. Durch mehr Beschäftigte
haben wir mehr Einnahmen in den Sozialkassen und im Haushalt. Insofern steht für
uns die Frage im Vordergrund, wie wir für Beschäftigung sorgen.
Frage: Westerwelle hat eine geistig-politische Wende gefordert, als ginge es um
eine neue Sozialstaatsphilosophie. Machen Sie diese Wende mit?
Antwort: Wir haben trotz aller schon genannten Aufgaben alles in allem einen
leistungsfähigen Sozialstaat, der dem Einzelnen Sicherheit und Halt gibt und dem
Land seit Jahrzehnten Stabilität. Mir geht es um die Zukunftsfähigkeit
Deutschlands, wozu auch Forschung, Bildung, Antworten auf die Demographie und
Fragen des Zusammenhalts der Gesellschaft zählen, daran arbeiten wir bereits
sehr intensiv. Bei all diesen Themen haben Union und FDP große
Übereinstimmungen.
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Datum: 24.02.2010 - 16:54 Uhr
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