Neue Beweise für Chinas willkürliche Unterdrückung der Uiguren
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Eine Liste aus dem Inneren des chinesischen Verwaltungsapparats zeigt, dass
Muslime in China für alltägliches Verhalten in ihrem privaten Lebensbereich
abgestraft werden. Reporterinnen und Reporter von NDR, WDR, Deutscher Welle und
"Süddeutscher Zeitung" wurde das Dokument zugespielt. Die Liste belegt, für
welche augenscheinlichen Nichtigkeiten Menschen interniert wurden, zum Teil
jahrelang: beispielsweise, weil sie Kopftücher oder Bärte trugen, Pilgerfahrten
oder Reisen ins Ausland unternommen haben. Auch der Besitz religiöser Bücher
wird als Grund für eine Inhaftierung aufgezählt.
In dem Dokument finden sich persönliche Angaben zu überwachten Personen aus dem
Kreis Karakax (Regierungsbezirk Hotan) in der Autonomieregion Xinjiang im Westen
Chinas. Es umfasst rund 140 Seiten und listet Informationen zu mehr als 300
Personen auf, die in Lagern interniert sind oder waren. Die Liste enthält auch
Namen, Adressen und Ausweisnummern von Angehörigen, Freunden und Nachbarn dieser
Personen. Insgesamt finden sich persönliche Daten von mehr als 2000 Menschen in
dem Dokument. Nicht alle Einträge lassen sich zeitlich verorten, der aktuellste
Eintrag stammt aus dem März 2019.
Experten schätzen, dass in Xinjiang mehr als eine Million Menschen gegen ihren
Willen in Lagern festgehalten und einer ideologischen Umerziehung unterzogen
werden. Die chinesische Regierung spricht hingegen öffentlich von freiwilligen
Bildungsmaßnahmen. Das Dokument listet zahlreiche Gründe auf, warum Menschen in
jene Lager gebracht worden sind. Der häufigste: ein Verstoß gegen die Gesetze
zur Geburtenkontrolle. In China gibt es rechtliche Vorgaben dazu, wie viele
Kinder eine Familie haben darf. An zahlreichen Stellen in der Liste heißt es,
eine Person habe zu viele Kinder.
Weitere Gründe sind: "Diese Person trägt einen langen Bart", "Person, die bei
der [islamischen Pilgerreise] Haddsch war", "Internetseite angeklickt, die Links
zu unerwünschten ausländischen Internetseiten enthält", "bleibt grundlos vom
Flaggenhissen fern", "während des Ramadans [islamischer Fastenmonats] im
Restaurant kein normaler Betrieb".
Auch das Verhalten von Angehörigen ist offenbar Grund für eine Internierung. In
der Spalte der Gründe finden sich Einträge wie etwa: "Verschleierung der
Ehefrau" und "Angehöriger einer Person, nach der im Ausland gefahndet wird".
Vereinzelt werden Personen verdächtigt, Mitglieder oder Sympathisanten von
islamistischen Terrorgruppen zu sein.
Die Liste zeigt auch, dass Uiguren bestimmter Geburten-Jahrgänge kategorisch als
besonders gefährlich eingestuft worden sind - vor allem junge Männer. Da es sich
bei den Lagern offiziell nicht um Gefängnisse handelt, geht einer Internierung
kein Gerichtsverfahren voraus. Die Internierten sind offenbar den Beurteilungen
von Verwaltungs-Mitarbeitern ausgeliefert, die einschätzen, wie die Person der
kommunistischen Partei gegenübersteht. In einem Fall heißt es beispielsweise:
"Diese Person hat 2014 [der Moschee] 5000 Yuan gespendet, und sie hat drei
Kinder außerhalb der Geburtenplanung. Sie stellt eine gewisse Gefahr dar, so
dass vorgeschlagen wird, die Ausbildung fortzusetzen."
Mehrere Wissenschaftler, denen Reporterinnen und Reporter von NDR, WDR, DW und
SZ das Dokument zur Einschätzung vorgelegt haben, gehen davon aus, dass es
authentisch ist. Die Sprache stimme mit anderen Regierungsdokumenten überein.
Rian Thum forscht zur uigurischen Kultur und Geschichte an der Universität
Nottingham. Er sagt, die Liste belege "einen enormen Akt der kollektiven
Bestrafung", der letztlich rassistisch motiviert sei. "Du giltst als Gefahr,
wenn du derselben Ethnie angehörst wie eine Person, die etwas Verbotenes oder
Brutales getan hat." Der Begriff des Terrorismus werde vom chinesischen Staat
derart ausgeweitet, dass "er im Grunde jede Aktivität eines Muslims beinhaltet".
Über den Verbleib von Uiguren, die in die Lager gebracht worden sind, erfahren
zum Teil selbst Angehörige in China nichts. Die Angaben lassen sich daher nicht
zweifelsfrei überprüfen. Den Reporterinnen und Reportern ist es gelungen, eine
Uigurin ausfindig zu machen, die angibt, dass zwei ihrer Schwestern auf der
Liste zu finden seien. Die Frau, die in der Türkei im Exil lebt, hat nach
eigener Angabe seit mehreren Jahren nichts mehr von ihren Verwandten gehört.
Im November hatten NDR, WDR und SZ gemeinsam mit weiteren Medienpartnern unter
dem Schlagwort "China Cables" über Dokumente aus dem Inneren der chinesischen
Verwaltung berichtet, die eine systematische Unterdrückung muslimischer
Minderheiten in Xinjiang nachweisen. Experten gehen davon aus, dass es in
Xinjiang mehr als 1000 derartiger Lager gibt.
Die chinesische Regierung ließ eine schriftliche Anfrage unbeantwortet. Im
Rahmen eines Termins mit dem deutschen Außenminister Heiko Maas sagte der
chinesische Außenminister Wang Yi am Donnerstag, 13. Februar: "Es gibt in
Xinjiang keine Million Inhaftierte oder Eingesperrte. Diese Behauptungen sind zu
einhundert Prozent pure Lügen." Die Vorwürfe seien "auf die Vorurteile gegenüber
China" zurück zu führen.
Auf Anfrage wollte sich die Bundesregierung zu der nun ausgewerteten Liste nicht
konkret äußern. Allgemein teilte ein Sprecher mit, die Bundesregierung würde das
Thema Menschenrechte regelmäßig gegenüber Vertretern Chinas ansprechen.
Die nun ausgewerteten Unterlagen sind einer Reihe von Medien gleichzeitig
zugespielt worden. Auch die New York Times, die BBC, Al Jazeera und andere
berichten über die Liste.
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