"Erziehung nicht der Pornoindustrieüberlassen" / Experten geben Anregungen für pädagogische Arbeit
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Jugendlichen angekommen. Das zeigten die Forschungsergebnisse und
Expertenmeinungen bei der 16. Fachtagung des Forums Medienpädagogik
"Voll Porno, Alter!? - Sexualisierte Medieninhalte im Alltag von
Jugendlichen". Pädagogen sind gefordert lautete unisono das Fazit der
Referenten in ihrer Bildungsarbeit mit den Jugendlichen das Thema
"sexualisierte Medieninhalte" aufzugreifen und kritisch zu
hinterfragen.
"Wir müssen den jungen Menschen bei der Aufarbeitung extremer
Bilder helfen und sie bei ihrer Einordnung unterstützen, um falschen
Vorstellungen entgegenzuwirken", sagte der Präsident der Bayerischen
Landeszentrale für neue Medien (BLM) und Vorsitzende des Forums
Medienpädagogik, Prof. Dr. Wolf-Dieter Ring, in seiner Begrüßung. Es
sei wichtig, Jugendliche zu sensibilisieren, da Medien oft
überzeichnen oder gewisse - nicht direkt ersichtliche - Ziele
verfolgten. So wichtig ein medienpädagogischer Ansatz sei, könne er
aber kein alleiniges Allheilmittel sein. "Es wird immer einer
Aufsichtsinstanz bedürfen, die einen effektiven Jugendmedienschutz
gewährleistet", so Ring.
"Es war noch nie so einfach, an pornografische Medieninhalte zu
kommen", erläuterte die Kommunikationswissenschaftlerin Prof. Dr.
Petra Grimm von der Hochschule für Medien Stuttgart. Sie zeigte
anhand von Ergebnissen der Studie "Porno im Web 2.0", dass der Konsum
von Pornografie unter Jugendlichen mittlerweile normal und
Bestandteil des alltäglichen Medienkonsums - zumindest von männlichen
Jugendlichen - ist. Ein Gewöhnungseffekt mit Auswirkungen:
Sexualisierte Medieninhalte prägen die Entwicklung von Kindern und
Jugendlichen und können ihr Verhalten - auch durch unbewusste
Wahrnehmungsvorgänge - verändern. Grimm forderte eine
medienpädagogische Offensive, die das Thema Internetpornografie
enttabuisiert und Handlungsräume für Medien- und Sexualpädagogen in
Schulen schafft. "Wir sollten auf keinen Fall der Pornoindustrie die
Erziehung unserer Kinder überlassen", sagte Grimm.
Einen Trend zur "Pornografisierung" in der Gesellschaft nimmt auch
Verena Weigand, Vorstandsmitglied der Stiftung Medienpädagogik
Bayern, wahr. Sie machte auf die Allgegenwart sexualisierter
Medieninhalte aufmerksam, angefangen bei aufreizenden Titelfotos von
TV-Zeitschriften und klischeehaften Comicfiguren über Porno-Rap und
anzüglichen Bemerkungen in Reality-TV-Sendungen bis hin zu
Gewaltpornos im Internet. "Medien zeigen einseitige und fragwürdige
Geschlechterrollenbilder, die die sexuelle und moralische Entwicklung
von Kindern und Jugendlichen prägen können", erklärte Weigand:
"Unsere Gesellschaft muss sich mit der Frage auseinandersetzen, wie
mit dem relativ neuen Phänomen sexualisierter Medieninhalte umzugehen
ist." Aus medienpädagogischer Perspektive sei eine interdisziplinäre
Zusammenarbeit notwendig, um Kindern und Jugendlichen einen
kritischen, reflektierten Umgang mit Medien zu vermitteln.
Dafür müssten Pädagogen und Erziehende junge Menschen an den Orten
abholen, an denen sie sich aufhielten, beispielsweise auch in den
Netzgemeinden des Web 2.0, erläuterte der Sozialpädagoge Sebastian
Kempf von pro familia München. Nicht auf technische Perfektion komme
es bei diesem Dialog an, sondern darauf, eine möglichst neutrale und
wertfreie Haltung zu zeigen ohne zu moralisieren oder aus Scham in
Panik zu verfallen. Wer mit Jugendlichen über das Thema Pornografie
reden wolle, könne am besten mit ihnen daran arbeiten, die
Inszenierungen, Geschlechterrollen und rechtlichen Grundlagen
sexualisierter Darstellungen aufzudecken.
Was für Internetangebote gilt, trifft auch für das Handy zu. Hinzu
kommt, dass Kinder und Jugendliche mit dem mobilen Alleskönner
erotische Fotos und Videos selbst erstellen können (Stichwort
"Sexting"). Arnfried Böker, Geschäftsführer der Landesstelle Kinder-
und Jugendschutz Sachsen-Anhalt, sprach sich für eine grundsätzliche
Thematisierung und Sensibilisierung für Fragen aus, die Kinder und
Jugendliche im Umgang mit ihrer Sexualität unsicher machen. Es gäbe
ein großes Bedürfnis nach Austausch und Orientierung - manchmal mache
sich dies durch direktes Fragen bemerkbar, manchmal durch provokantes
Verhalten.
Stereotype Geschlechterbilder und Schönheitsideale beobachtete
Michael Gurt vom Institut für Medienpädagogik München in den
Programmformaten von MTV und VIVA. Kindern böten die Musiksender kaum
Altersgerechtes. So zeige etwa das TV-Format Playboy Mansion ein
extrem sexualisiertes und verzerrtes Frauenbild, in der Sendung
America´s next Topmodel stünden ausschließlich die körperlichen Reize
der Kandidatinnen im Mittelpunkt und Datingshows wie Next oder Date
my Mom vermittelten oberflächliche und abwegige Vorstellungen von
Liebe und Zweisamkeit. Während es Jugendlichen mit zunehmendem Alter
und Medienerfahrung gelinge, Tabubrüche und Provokationen der
Reality-Shows richtig einzuordnen, sei das von Kindern kaum zu
erwarten. Wenn Korrektive in der Realität fehlen, können die
verzerrten medialen Vorgaben ein fragwürdiges Welt- und Menschenbild
befördern. Im Hinblick auf die Orientierungsfunktion des Mediums
Fernsehen sollten Eltern und Bezugspersonen deshalb für die
Problemstellungen sensibilisieren.
Für einen Neuansatz in der Schuldidaktik plädierte der
Sprachwissenschaftler Nils Uwe Bahlo: dafür, dass Jugendliche im
Unterricht ihre Sprache selbst erklären, reflektieren und
kommentieren. Wissenschaftler beobachteten in der Vulgärsprache der
jungen Generation weniger einen Verlust sozialen Verhaltens als
vielmehr ein Kreativitätspotenzial: Jugendsprache betreibt
Identitätsbildung. Früh werden Jugendliche mit einem pornografischen
Wortschatz konfrontiert, den sie sich aneignen und umdeuten. Für
Erwachsene verletzende Worte müssen innerhalb der Peergroup
allerdings nicht unbedingt so gewertet werden.
Wie "krasse Lyrics im Klassenzimmer" eingesetzt werden können, um
die "Sprachlosigkeit in der Schule" aufzubrechen, demonstrierte der
Musiker und Lehrer Murat Güngör. Er integrierte Rap
fächerübergreifend in den Unterricht und schaffte es damit, die
Schreibkompetenz der Schüler zu stärken und einen kreativen Prozess
bei ihnen anzustoßen. Indem Kinder und Jugendliche in den Liedern
dabei auch einseitige Rollenbilder dekodieren, setzen sie sich
kritisch mit ihrer Lebens- und Medienwelt auseinander.
Die 16. Fachtagung des Forums Medienpädagogik moderierte Helmut
Wöckel, Vorsitzender des BLM-Programmausschusses und Vorsitzender der
Freien Elternvereinigung in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in
Bayern.
Diese Informationen finden Sie auch im Internet unter: www.blm.de
Pressekontakt:
Cornelia Freund, Tel. (089) 63808-330, cornelia.freund@blm.de
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Datum: 06.10.2010 - 15:21 Uhr
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