Online-Gipfel der Medientage München: Freiheit im Netz - Bürgerrecht oder Alptraum?
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MÜNCHEN: Alle wollen sich für Datenschutz, Persönlichkeitsrechte und
Netzneutralität einsetzen und Verbraucher über die Risiken aufklären
- darin waren sich die Vertreter von Google, Microsoft, Telekom und
aus der Politik weitgehend einig. Nur beim Leistungsschutzrecht für
die Verlage gab es einen stärkeren Dissens: Klaus Schrotthofer,
Geschäftsführer der Zeitungsgruppe Thüringen, warf Google eine
romantisierende Verklärung eigener Interessen vor und forderte
gleiche Rahmenbedingungen für alle im weltweiten Datennetz. Doch wie
steht es derzeit wirklich um die Freiheit im Netz bzw. um die
verfassungsrechtlich garantierte informationelle Selbstbestimmung der
Bürger? Daten, die einmal ins Netz gestellt sind, können nicht
zurückgeholt werden, und viele Netznutzer sind sich über die
Konsequenzen ihres allzu großzügigen Umgangs mit Daten nicht bewusst.
Viele wollten sich ins Netz wie in ein Schaufenster stellen, sagte
Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner. Zugleich wollten immer
mehr Nutzer rechtlich etwas in der Hand haben, wenn Privates zu
öffentlich werde: "Es gibt eine Freiheit für etwas, es muss aber auch
eine Freiheit von etwas geben", forderte Aigner. Im Zeitalter von
Google, Twitter und Facebook hätten manche Verbraucher
berechtigterweise kein Vertrauen mehr in die Datensicherheit. Deshalb
bedürfe das Datenschutzgesetz dringend einer Überarbeitung. Den
Verbrauchern müsse vor allem ein Widerspruchsrecht im Umgang mit
ihren Daten eingeräumt werden, betonten Aigner und die
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger einhellig.
Die Politik setzt aber auch auf die Selbstregulierung: So wurden die
IT-Unternehmen dazu aufgefordert, bis zum 7. Dezember eine Art
Verhaltenskodex in punkto Datenschutz aufzustellen.
Aufklärung und Transparenz notwendig
Erst die Debatte über Google Street View hat vielen Verbrauchern
offenbar bewusst gemacht, dass die Grenzen zwischen privat und
öffentlich in der digitalen Gesellschaft neu definiert werden müssen.
Die Verschiebung dieser Grenzen, die durch die Plattform Internet
ausgelöst worden sei, müsste genau analysiert werden, warnte Wolfgang
Schulz, Direktor des Hans-Bredow-Instituts: "Alles, was wir im Netz
machen, ist Risikomanagement". Hundertprozentig lasse sich das nicht
regeln. Angesichts der Globalität des Netzes räumte auch die
Bundesjustizministerin ein, dass man bei der Durchsetzung des
geplanten Datenschutzgesetzes schnell an seine Grenzen stoße. Deshalb
setze sie auch auf technische Möglichkeiten und vor allem auf die
Aufklärung der Bürger: Die Vermittlung von Medienkompetenz sei
deshalb eine Riesenaufgabe für die Politik. Die Service-Anbieter
hätten kein Problem mit dem Datenschutz, "weil wir das Vertrauen
unserer Konsumenten brauchen", betonte Dr. Dorothee Ritz, General
Manager Consumer & Online bei Microsoft Deutschland, und wurde darin
von Philipp Schindler, Googles Managing Director Northern & Central
Europe, unterstützt. Aufklärung und Transparenz, so Schindler, habe
auch für Google erste Priorität: Das fehlende Risikobewusstsein im
Umgang mit Daten sei ein "ungelöstes Problem in der digitalen Welt".
Seriöser Datenschutz sei eine große Chance für die Unternehmen,
bestätigte auch Wolfgang Kopf von der Deutschen Telekom: Wenn den
Verbrauchern künftig ein Widerspruchsrecht eingeräumt werde, müsste
dies allerdings sehr einfach zu handhaben sein, zum Beispiel in Form
eines einheitlichen Trust-Centers, das online genutzt werden könne.
Streit über das Leistungsschutzrecht
Skeptisch gegenüber Selbstregulierungsansätzen zeigte sich
Verleger Schrotthofer, der die extrem harte Regulierung von Verlagen
gegenüber der Freiheit der dominanten Player der digitalen Zukunft
beklagte. Deshalb forderten die Verleger ein Leistungsschutzrecht für
ihre Inhalte auf Online-Plattformen, um damit eine Lücke im
Urheberrecht zu schließen. Es habe sich eine "Raubrittermentalität"
entwickelt, bei der Inhalte von fremden Online-Plattformen ohne
Bezahlung für eigene Zwecke genutzt würden. Schrotthofer wehrte sich
aber gegen den Vorwurf, das Leistungsschutzrecht bewirke eine
"Zwangsabgabe". Entsprechend hatten die Industrieverbände kürzlich in
einer Erklärung argumentiert. Die Verlage wollten nur einen
Rechtsanspruch, um die kostenlose kommerzielle Verwertung von
Online-Inhalten unterbinden zu können, erklärte Schrotthofer. Während
Schindler durch das Leistungsschutzrecht sogar die
Informationsfreiheit gefährdet sieht, bezeichnete die
Bundesjustizministerin Leistungsschutzrechte als durchaus üblich im
Urheberrecht, und kündigte an, dass es sicher keine "Sonder-Gema"
geben werde.
Dienstepriorisierung als "Ende des freien Netzes"? Gleiche
Rahmenbedingungen für alle Marktteilnehmer zu schaffen, ist auch der
Kern der Diskussion über Netzneutralität. "Wir wollen ein offenes und
gleichberechtigtes Netz für jedermann haben", erklärte Schindler und
versuchte so, den Vorwurf zu entkräften, die Vereinbarung zwischen
Google und Verizon, die für das mobile Internet in den USA nur eine
eingeschränkte Netzneutralität vorsieht, biete keine fairen
Bedingungen. Auch Wolfgang Kopf, Leiter des Bereichs Politik und
Regulierung bei der Telekom, wehrte sich gegen den Eindruck, sein
Unternehmen plane, bestimmte Dienste in puncto
Durchleitungsgeschwindigkeit im Netz zu priorisieren. Die Telekom
wolle keine "Internet-Maut" einführen, sondern ein vernünftiges
Bezahlmodell finden. Wenig beruhigt von diesen Aussagen zeigte sich
Wolfgang Schulz. Er warnte: "Wenn man mit der Dienstepriorisierung
beginnt, ist das das Ende des freien Netzes." Handelt es sich also in
Sachen Datenschutz und Netzneutralität doch um eine freie Fahrt für
unfreie Bürger? Zumindest ist es offenbar schwierig, den Ausgleich
zwischen kommerziellen Interessen, Innovationsbestreben und
Verbraucherschutz bzw. Diskriminierungsfreiheit zu finden. Letztlich
müsse Deutschland aufpassen, warnte Ritz abschließend, dass wir uns
"technischen Innovationen" nicht verschließen.
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Datum: 14.10.2010 - 14:33 Uhr
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