Die Frage "Wann ist ein Mensch tot?" beschäftigte den Deutschen Ethikrat

Die Frage "Wann ist ein Mensch tot?" beschäftigte den Deutschen Ethikrat

ID: 601770
(ots) - Am 21. März diskutierte der Deutsche Ethikrat im
Rahmen seiner Veranstaltungsreihe "Forum Bioethik" über neue
Argumente zu Fragen des Lebensendes und welche Konsequenzen sich
daraus für die Transplantationsmedizin ergeben.

Nach geltendem Transplantationsrecht dürfen Organentnahmen im
Wesentlichen nur bei Menschen vorgenommen werden, deren Tod
einwandfrei festgestellt wurde. Ob der Hirntod dafür das
ausschlaggebende Kriterium sein darf, wird seit einigen Jahren wieder
vermehrt öffentlich diskutiert. Die Antworten fallen - je nachdem,
welches Verständnis vom menschlichen Tod zugrunde gelegt wird -
unterschiedlich aus.

Der US-amerikanische Neurologe D. Alan Shewmon, Autor zahlreicher
Studien zu diesem Thema, vertrat die Auffassung, dass das Ende des
menschlichen Lebens nicht durch den Ausfall der Gehirnfunktionen,
sondern durch die fehlende Integrationsfähigkeit des gesamten
Organismus markiert werde. Diese Integrationsfähigkeit bleibe in
manchen Fällen auch beim Ausfall aller Gehirnfunktionen erhalten. Sie
manifestiere sich zum einen darin, dass hirntote Patienten unter
anderem ihre Körpertemperatur regulieren, sich gegen Infektionen zur
Wehr setzen und ein ungeborenes Kind austragen können, und zum
anderen darin, dass der Organismus in einigen von ihm untersuchten
Fällen zur Aufrechterhaltung seiner vitalen Funktionen relativ wenig
technologische Unterstützung, wie zum Beispiel die dauerhafte
Beatmung, benötige.

Stefanie Förderreuther, Neurologin am Klinikum der Universität
München, befürwortete im Gegensatz zu Shewmon die medizinische
Hirntod-Konzeption. Der Hirntod unterscheide sich eindeutig von
anderen Syndromen wie dem Koma oder dem Locked-in-Syndrom. Eine
Verwechslung von Hirntod und Wachkoma sei klinisch nicht möglich. Die
Diagnostik des Hirntods erfolge nach strengen standardisierten


Kriterien, auf deren Grundlage der irreversible Ausfall aller
Gehirnfunktionen sicher ermittelt werden könne. Anders als Shewmon
resümiert sie: "Ohne Gehirn ist der Mensch als körperlich geistige
Einheit nicht mehr existent."

Ralf Stoecker, Professor für Angewandte Ethik an der Universität
Potsdam, sieht dagegen "kein überzeugendes Argument für die
Gültigkeit der Hirntod-Konzeption". Er stimmte mit Shewmon darin
überein, dass hirntote Menschen zwar unwiderruflich das Bewusstsein
und ihr psychisches Innenleben verloren hätten, aufgrund der noch
vorhandenen Integrität des Organismus jedoch noch nicht tot seien.
Stoecker versuchte, das ethische Dilemma, dass man mit Organspenden
Menschen helfen könne, dafür aber nur wirklich tote Menschen als
Spender infrage kämen, aufzulösen, indem er auf die unscharfen Ränder
von Begriffen wie Leben und Tod verwies: Hirntote Patienten befänden
sich in einem Zwischenstadium von Leben und Tod, sie wiesen sowohl
Merkmale von Lebendigkeit als auch Merkmale des Todes auf;
entsprechend müsse man sie in mancher Hinsicht wie Lebende behandeln,
könne ihnen jedoch auf der anderen Seite in mancherlei Hinsicht kein
Leid mehr antun, weil man sie keiner Zukunft mehr berauben könne,
wodurch eine Organentnahme ethisch zu rechtfertigen sei.

Michael Quante, Professor für Philosophie an der Universität
Münster, verwies mit Blick auf Stoeckers Auffassungen auf
tiefgreifende philosophische Differenzen. Quante zufolge ist die
angemessene Definition des Todesbegriffs keine ethische, sondern eine
metaphysische Frage nach der Existenz und deren Ende durch den Tod.
Um diese Frage zu beantworten, bedürfe es eines Dialogs zwischen
Naturwissenschaftlern und Naturphilosophen über das Ende der
menschlichen Existenz. Es gehe "um einen naturwissenschaftlich und
naturphilosophisch angemessenen Begriff des (menschlichen)
Organismus".

In der anschließenden Podiumsdiskussion, an der neben den
Referenten des Abends auch Eckhard Nagel und Eberhard Schockenhoff,
Mitglieder des Deutschen Ethikrates, teilnahmen, ging es vor allem um
Konsequenzen der verschiedenen Auffassungen für die medizinische
Praxis. Für Nagel als Transplantationsmediziner sei es undenkbar,
einen Menschen zu töten, um einen anderen zu retten. Im Gegensatz zu
Shewmon und Stoecker sehe er jedoch den hirntoten Patienten als
eindeutig tot an und halte die Praxis der Transplantationsmedizin
daher weiterhin für legitim. Auch Schockenhoff zeigte sich davon
überzeugt, dass hirntote Patienten als eindeutig tot angesehen werden
müssen. Denn anders als Shewmon verstehe er den Lebensbegriff in der
Bedeutung, dass ein lebendiger Organismus etwas selbst hervorbringe
und damit eine selbsterwirkte Einheit darstelle, was durch keine
umfassende Substitution ausgefallener Organfunktionen ersetzt werden
könne.

Sowohl in der Diskussion auf dem Podium als auch in den Beiträgen
aus dem Publikum wurde deutlich, dass in jedem Fall die Würde
hirntoter Menschen zu achten sei und die Angehörigen auf der
Intensivstation stärker angesprochen und eingebunden werden sollten.
Indem sie zum Beispiel die Hirntod-Diagnostik begleiteten, könnten
sie den Tod ihres Angehörigen eher begreifen und letztlich
akzeptieren.

Die Beiträge der Veranstaltung können unter
http://www.ethikrat.org/veranstaltungen/forum-bioethik/fb-hirntod
nachgehört und in Kürze auch nachgelesen werden.



Pressekontakt:
Ulrike Florian
Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutscher Ethikrat
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Datum: 22.03.2012 - 17:31 Uhr
Sprache: Deutsch
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