NIEBEL-Interview für 'FOCUS online'
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NIEBEL-Interview für "FOCUS online"
Frage: Herr Niebel, nach einem fulminanten Jahresstart ist es inzwischen wieder etwas stiller geworden um die Liberalen. CDU und SPD legen in den Umfragen zu, die FDP stagniert um die 15 Prozent. Sind Sie damit schon zufrieden?
NIEBEL: Ich könnte jetzt ironisch sagen, der Vorwurf der Stagnation bei 15 Prozent trifft mich hart. Aber Spaß beiseite: Entscheidend ist, was am Wahltag herauskommt. Ich rechne mit einem sehr ordentlichen Ergebnis für die FDP im Herbst.
Frage: Einige Umfrageinstitute sagen, viele Wähler, die bei der FDP ?zwischengeparkt? haben, zieht es nun zurück zu CDU und CSU. Da müssten bei Ihnen doch die Alarmglocken läuten?
NIEBEL: Es gibt weiter viel Zuspruch von Menschen aus der Mitte der Gesellschaft. Sie sind über die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Union entsetzt und verurteilen den Linksrutsch der SPD. Für diese Enttäuschten gibt es nur noch einen Anwalt für eine vernünftige Politik - und das sind wir. Mit dem Versprechen, dass mit der FDP die Mitte Deutschlands wieder in den zentralen Bereich des Regierungshandelns gerückt wird, können wir es schaffen, Menschen langfristig an uns zu binden.
Frage: Die FDP hat in den vergangenen Monaten vor allem wegen der Finanzkrise und der ihr traditionell zugeschrieben Wirtschaftskompetenz in der Wählergunst hinzugewonnen. Nun aber erklärt ausgerechnet die SPD Steuerpolitik zum zentralen Wahlkampfthema. Müssen Sie da nicht nachlegen?
NIEBEL: Eine Regierung aus Union und SPD, die innerhalb von dreieinhalb Jahren 20 mal die Steuern erhöht hat, ist auf diesem Gebiet total diskreditiert. Fakt ist doch, dass die normalen Bürger in Deutschland nichts gehabt haben von den wirtschaftlich guten Jahren. Bei Ihnen ist nichts angekommen, einzig der Bundesfinanzminister hat kassiert. Es geht uns um solide Wirtschafts- und Steuerpolitik, aber auch um ein vernünftiges Bildungssystem.
Frage: Was meinen Sie damit?
NIEBEL: Als Vater von drei schulpflichtigen Kindern bin ich davon überzeugt, dass man innerhalb von zwölf Jahren das Abitur machen kann. Allerdings weiß ich auch, dass dies nicht funktionieren kann, wenn man einfach den Lehrstoff von 13 Jahren in zwölf hineindrückt. Eltern müssen sich heute sorgen, dass ihre Kinder ? selbst wenn sie klug und fleißig sind ? den sozialen Herkunftsstatus ihrer Familie nicht halten können. Das ist auch ein klassisches Thema der Mitte.
Frage: Nun stürzen sich im Wahlkampf alle Parteien auf die berühmte Mitte. Davon ist später meistens nicht mehr viel zu spüren. Wie wollen Sie die mittleren Einkommen konkret entlasten? Und wen meinen Sie eigentlich genau, wenn Sie von der Mitte sprechen?
NIEBEL: Wir meinen die klassische Mittelschicht. Das ist die Krankenschwester genauso wie der Facharbeiter oder der Beamte. Die anderen Parteien gaukeln dem Bürger nur etwas vor. Sie reden zwar von der Mitte, beschäftigen sich aber offensichtlich lieber mit Heuschrecken oder dem Prekariat. Das geht an der Lebenswirklichkeit der meisten Menschen vorbei. Die Steuer- und Finanzpolitik der vergangenen Jahre hat dazu geführt, dass das verfügbare Einkommen immer geringer geworden ist. Das zeigen auch aktuelle Studien der OECD. Ganz wenige sind in Deutschland aufgestiegen, aber viele abgestiegen.
Frage: Nochmals konkret, wer soll wie entlastet werden?
NIEBEL: Wir haben bei unserem Parteitag vor einem Jahr ein neues Steuer- und Transfersystem entworfen. Wir brauchen eine echte Steuerstrukturreform als Motor des Aufschwungs. Dazu gehört zweierlei: erstens eine deutliche Vereinfachung, weil der Staat von den Bürgern nur sehr schwer verlangen kann, dass sie sich an etwas halten, was sie nicht verstehen können, und zweitens bedarf es einer steuerlichen Entlastung. Unser Konzept sieht eine Anhebung des Steuerfreibetrages auf 8004 Euro für alle Menschen, also auch für die Kinder vor. Der Eingangssteuersatz soll auf zehn Prozent abgesenkt werden. Wir streben also einen Stufentarif von zehn, 25 und 35 Prozent an. Das ist der Idealfall. Ob wir diesen dann in einer Regierung so 1:1 durchbekommen, hängt auch von unserem Wahlergebnis ab. Aber das Prinzip muss gelten: einfach, niedrig und gerecht. Das ist für uns unabdingbar.
Frage: Ihr Wunschkoalitionspartner ist die Union. Doch die weiß offenbar nicht, was sie will. Erst heißt es, Steuersenkungen gebe es mit ihr erstmal nicht. Nun fordert Kanzlerin Merkel, die Last für Leistungsträger zu senken. Was sagen Sie dazu?
NIEBEL: Es kommt nicht nur auf die Kanzlerin an, sondern auch auf den Partner. Wir Liberale haben gezeigt, dass wir nach den Wahlen das tun, was wir vorher versprechen. Das war schon bei der letzten Bundestagswahl so, als wir das rot-grüne Elend nicht verlängert haben ? und übrigens auch bei der hessischen Landtagswahl.
Frage: Aber sind Steuersenkungen angesichts der Milliarden Staatshilfen keine Illusion? Muss man hier nicht ehrlich sein zu den Wählern und ihnen sagen, dass für eine Steuerreform mit Steuersenkung kein Geld mehr da ist?
NIEBEL: Alle Erfahrung ? bei uns wie bei unseren Nachbarn ? besagt doch: Eine echte Steuerstrukturreform ist das beste Konjunkturprogramm. Mehr Netto vom Brutto fördert das Wachstum und stabilisiert den Arbeitsmarkt. Und wenn es uns gelingt, durch ein einfaches, verständliches Steuersystem Arbeit aus der Illegalität in die reguläre Wirtschaft zurückzuführen, dann hat sich unser Konzept komplett finanziert. Wer mal eben fünf Milliarden Euro für eine Abwrackprämie zur Verfügung stellt, hat auch genug Geld für eine echte Entlastung der Bürger.
Frage: Steuerentlastungen werden laut FDP also gegenfinanziert durch ?
NIEBEL: ? eine stärkere Bekämpfung der Schwarzarbeit. Das Volumen der Schattenwirtschaft wird auf 370 Milliarden Euro geschätzt. Lenken wir davon nur zehn Prozent in die legale Wirtschaft, ist nicht nur der Staatshaushalt sicher, sondern auch das Strukturkonzept der FDP gegenfinanziert. Das können wir mit einem einfacheren Steuersystem schaffen.
Frage: Die Konjunkturpakete der Bundesregierung haben Sie teils heftig kritisiert. Nehmen wir einmal an, Sie kommen an die Regierung, und es kommt zu einer weiteren, starken Krisendelle. Welches Paket würde denn die FDP schnüren wollen?
NIEBEL: Eine Steuerstrukturreform, versehen mit einem Wachstumsprogramm, das Investitionshemmnisse abbaut. Also ein Gesetz zum Abbau von Investitionshemmnissen, das privates Geld mobilisiert und keinen einzigen Cent Steuergeld benötigt.
Frage: Was für Investitionen meinen Sie?
NIEBEL: Drei Bespiele: Allein im Bereich des konventionellen Kraftwerkbaus haben wir ein Investitionsvolumen von 40 Milliarden Euro. Nur ist die derzeitige Regierung nicht bereit oder in der Lage, Investoren ein bundesweites Energiekonzept vorzulegen und ihnen aufzuzeigen, in welche Richtung ihre Investitionen gehen können. Zweites Beispiel: Der Koalitionsvertrag sieht ein bundesweites Flughafenkonzept vor. Das hat dann allerdings niemand konkret ausgearbeitet. Die Folge ist ein Investitionsstau von 20 Milliarden Euro. Drittes Beispiel: Im Bereich Gesundheit könnten viele private Gelder abgerufen werden für moderne technologische Ausstattungen. Das wird jetzt nicht gemacht, weil der Kurs von Schwarz-Rot Richtung Staatsmedizin und Zwangskasse geht.
Frage: Also eine Abwrackprämie hätte es mit der FDP nicht gegeben?
NIEBEL: Natürlich freut sich der Bürger, wenn er endlich einmal etwas vom Staat bekommt. Aber wir sehen doch heute schon, dass infolge der Prämie die Reparaturaufträge in den Kfz-Werkstätten dramatisch zurückgegangen sind. Der Gebrauchtwagenmarkt ist praktisch zusammengebrochen in Deutschland. Und keiner kann bisher wirklich abschätzen, wie sich die Wertverluste beim Leasingfahrzeugmarkt entwickeln. Insgesamt ist das ganze ein Wahlgeschenk, um über den Wahltermin zu kommen. Aber der Steuerzahler hat die Rechnung zu bezahlen.
Frage: Die Krise schürt Unmut unter den Deutschen, weil für die Unternehmen Milliarden locker gemacht werden und gleichzeitig dem entlassenen Familienvater das Abrutschen in Hartz IV droht. Können Sie den Frust nachvollziehen?
NIEBEL: Ich kann sehr gut verstehen, dass viele Menschen enttäuscht sind. Aber wir müssen unterscheiden zwischen systemrelevanten Bankhäusern, die gestützt werden, weil sonst das ganze Finanzsystem zusammenbricht und mit ihm andere Unternehmen. Hier komme ich nochmals auf die Abwrackprämie zurück. Diese fünf Milliarden Steuergelder sind nirgends abgesichert. Hier wird eine spezielle Branche für eine kurze Zeit gestützt. Was ist denn eigentlich mit einer Abwrackprämie für Märklin oder für Schiesser?
Frage: Der FDP haftet immer noch das Image an, sie sei die Partei der Selbstständigen und der Besserverdiener. Viele andere sagen, sie wählten die FDP nicht, weil es dann wahrscheinlich nicht einmal mehr Hartz IV geben würde, amerikanische Verhältnisse würden angestrebt.
NIEBEL: Die x-te Wiederholung von Vorurteilen macht sie nicht richtiger. Die eigentliche Partei der Besserverdiener sind die Grünen. Um sich deren Politik leisten zu können, muss man wirklich besser verdienen. Die Zuwächse der FDP bei den vergangenen Wahlen kamen übrigens überwiegend von Facharbeitern und auch von Arbeitsuchenden, die sich neue Chancen erhoffen. Wir wollen ja auch deutlich größer werden. 94 Prozent der Steuereinnahmen des Staates werden von 50 Prozent der Bürger bezahlt. Diese 50 Prozent in der Mitte der Gesellschaft haben den Anspruch, dass von ihrem selbst verdienten Geld auch genügend bei ihnen bleibt. Und wenn man sieht, dass von einer Brutto-Gehaltserhöhung von 100 Euro nur 45 Euro übrig bleiben, dann ist das eine gänzlich falsche Entwicklung.
Frage: Sie versprechen also felsenfest, kommt die FDP im Herbst an die Macht, wird es eine spürbare Steuerentlastung geben?
NIEBEL: Wir haben immer gesagt, dass wir keine Koalitionsvereinbarung unterschreiben, in der keine echte Steuerstrukturreform festgeschrieben ist.
Frage: Erstellen Sie doch einmal ein Szenario: Guido Westerwelle wird Vizekanzler und Außenminister. Welche Posten würde die FDP in einer Koalition mit der Union beanspruchen?
NIEBEL: Jetzt ist doch nicht die Zeit für Koalitionsverhandlungen.
Frage: Das Wirtschaftsministerium war bislang immer fest in FDP-Hand. Doch der neue CSU-Minister macht sich gar nicht schlecht. Doch müssen Sie auf dieses Amt nicht pochen, wenn man den Ruf als wirtschaftskompetenteste Partei nicht abgeben will?
NIEBEL: Wir werden es ganz klassisch machen. Erstmal werben wir um Unterstützung, dann gewinnen wir dazu, dann unterhält man sich über Inhalte, dann über Ressortzuständigkeiten und schließlich über Personen.
Frage: Und könnten Sie sich ein Ministeramt vorstellen?
NIEBEL: Heute bin ich genau vier Jahre Generalsekretär der FDP. Ich hoffe, dass ich auf dem Parteitag nächste Woche noch einmal gewählt werde. Dann bin ich doch schon was.
Frage: Was passiert, wenn es nicht für Schwarz-Gelb reicht? Wäre die FDP dann vielleicht doch zu einer Ampel bereit?
NIEBEL: Wenn es für Schwarz-Gelb nicht reicht, dann gibt es eine rechnerische Mehrheit links von der Mitte. Und wo es eine Mehrheit gibt, findet sich über kurz oder lang auch eine Regierung. Das heißt: Mit der linken Mehrheit wäre die FDP in einer Ampel erpressbar. Entweder erleiden wir dann einen Komplettverlust unserer Glaubwürdigkeit, oder es kommt dann eben aus Mangel an Übereinstimmung in der Ampel zu Rot-Rot-Grün. Das mache ich nicht mit.
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Datum: 05.05.2009 - 18:51 Uhr
Sprache: Deutsch
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