WESTERWELLE-Interview für das ?Hamburger Abendblatt?
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WESTERWELLE-Interview für das ?Hamburger Abendblatt?
Frage: Herr Außenminister- und Vizekanzlerkandidat...so dürfen wir Sie doch ansprechen?
WESTERWELLE: Nein, das dürfen Sie nicht. Das Fell des Bären wird verteilt, wenn er erlegt worden ist.
Frage: Wer ist denn der Bär?
WESTERWELLE: Nun warten Sie doch erst einmal die Wahlen ab! Dass wir Regierungsverantwortung wollen, ist hinreichend bekannt. Dass wir sie aber nicht um jeden Preis anstreben, haben wir bereits 2005 bewiesen. Kein Ministerposten und keine noch so beeindruckende Anrede im Hamburger Abendblatt kann uns dazu bringen, unser Wort zu brechen. Wir wollen Schwarz-Gelb.
Frage: Wenn wir die FDP richtig einschätzen, verzeiht sie keinem Vorsitzenden, der zum vierten Mal in Folge die Regierungsbeteiligung verfehlt.
WESTERWELLE: Sie schätzen die FDP falsch ein. Die Liberalen wollen Verantwortung für eine bessere Politik, damit die Mittelschicht nicht weiter ausgedünnt wird. Im Übrigen haftet jeder Parteivorsitzende für das Wahlergebnis seiner Partei. Das weiß Herrn Steinmeier, das weiß Frau Merkel, und ich weiß es auch.
Frage: Dann können Sie auf dem Bundesparteitag in Hannover ja getrost eine Koalitionsaussage beschließen.
WESTERWELLE: In Hannover beschließen wir unser Wahlprogramm. Mit der formalen Koalitionsaussage warten wir genau wie 2005 bis kurz vor der Bundestagswahl. Das ist auch deshalb sinnvoll, weil die Union sich bis heute ziert, sich klar zu Schwarz-Gelb zu bekennen. Es ist doch ein offenes Geheimnis, dass viele in der Union auf die Fortsetzung der sogenannten großen Koalition oder sogar auf Schwarz-Grün setzen. Von der Union wissen wir nur, dass sie regieren will ? nicht wozu und nicht mit wem.
Frage: Kränkt Sie das?
WESTERWELLE: Es geht doch nicht darum, was aus Guido Westerwelle wird und ob er sich gekränkt fühlt. Es geht darum, dass die Bürger erkennen: Eine Stimme für die Union kann auch eine Stimme für eine große Koalition sein. Eine Stimme für die FDP ist eine Stimme für Schwarz-Gelb. Nur mit einer starken FDP kann eine Linksregierung verhindert werden.
Frage: Das müssen Sie uns erklären.
WESTERWELLE: Ich erwarte ein Kopf-an-Kopf-Rennen bei der Bundestagswahl. Wenn es wieder zu einer linken Mehrheit kommen sollte, mag es noch einmal Schwarz-Rot als Durchgangsstadium geben. Aber spätestens nach der nordrhein-westfälischen Landtagswahl im Frühjahr 2010 marschieren SPD und Grüne zur Linkspartei, wo sie inhaltlich längst angekommen sind.
Frage: Können wir festhalten: Die FDP schließt eine Ampelkoalition mit SPD und Grünen kategorisch aus?
WESTERWELLE: Ich schließe auch nicht aus, dass hier die Decke einstürzt und wir alle ein tödliches Ende in diesem Interview nehmen. Aber ich strebe es nicht an. Diese journalistischen Fragen sind zwar verständlich, aber nicht zu beantworten.
Frage: Für die Wähler sind sie interessant.
WESTERWELLE: So, wie sich SPD und Grüne im Augenblick darstellen, ist eine Ampelkoalition inhaltlich ausgeschlossen. Wir erwarten aber auch ein klares Signal der Union. Am Ende werden wir in unserer Koalitionsaussage vermutlich exakt dieselbe Formulierung wählen, wie sie die Union in unsere Richtung verwendet.
Frage: Dann wird das eine vage Sache.
WESTERWELLE: Ich habe am vergangenen Wochenende ohne Not erklärt, dass wir eine bürgerliche Regierung der Mitte wollen. Daraufhin sagt die Kanzlerin, sie wolle keinen Lagerwahlkampf führen und kämpfe für eine starke CDU. Der Ministerpräsident von Sachsen wirbt derweil für eine Koalition mit den Grünen. Und Ole von Beust singt vermutlich jeden Morgen vor dem Spiegel: Es grünt so grün, wenn Hamburgs Blüten blühen.
Frage: Der Lagerwahlkampf fällt dann wohl aus.
WESTERWELLE: Liberal sind wir schon, aber blöd sind wir nicht. Wir kämpfen für eine starke FDP und rennen keinem Rockschoß hinterher.
Frage: Wie gut ist Ihr Verhältnis zur Kanzlerin eigentlich gerade?
WESTERWELLE: Das persönliche Verhältnis ist unverändert gut.
Frage: Was schätzen Sie an ihr?
WESTERWELLE: (überlegt) Sie bringt eine Lebenserfahrung mit, die zur inneren Einheit Deutschlands beigetragen hat.
Frage: Wenn Sie sich eine gemeinsame Kabinettssitzung vorstellen ? was könnte Sie nerven an Angela Merkel?
WESTERWELLE: Ich bin Gentleman.
Frage: Der niedersächsische FDP-Vorsitzende Philipp Rösler hat im Hamburger Abendblatt geschieben, gerade Merkel stelle unter Beweis, wie sehr die Union ?auf die wirtschafts- und gesellschaftspolitische Kompetenz der FDP angewiesen ist?. Zweifeln auch Sie an Merkels Kompetenz?
WESTERWELLE: Ich habe nicht die Absicht, in eine persönliche Auseinandersetzung mit der Bundeskanzlerin einzutreten. Es ist allerdings ein schwerer Fehler, dass Union und SPD nicht nur die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Republik beschlossen haben, sondern auch noch das größte Schuldenpaket machen. Fatal ist auch, dass Union und SPD die Mittelschicht systematisch vernachlässigen. Beide kümmern sich nur noch um die ganz Großen und um Hartz IV.
Frage: Dann bleiben Sie dabei: CDU und CSU sind schwarz lackierte Sozialdemokraten?
WESTERWELLE: Ja, in weiten Teilen ? außer in Hamburg: Da ist die CDU grün lackiert.
Frage: Die Steuerschätzer werden an diesem Donnerstag Einnahmeeinbußen von mehreren Hundert Milliarden Euro vorhersagen. Wer soll der FDP noch abnehmen, dass Steuersenkungen möglich sind?
WESTERWELLE: Ein faires Steuersystem ist die Voraussetzung für die Gesundung der Staatsfinanzen. Wenn man die Staatsfinanzen mit Steuererhöhungen sanieren könnte, hätte es in den letzten elf Jahren ja funktionieren müssen. Die Steuerschätzung ist der Beweis dafür, wie dringend notwendig eine Steuerreform ist. Arbeit muss sich wieder lohnen. Wir brauchen in Deutschland ein faires Steuersystem mit niedrigeren Sätzen.
Frage: Dann sagen Sie uns, woher Sie das Geld nehmen wollen.
WESTERWELLE: Wir haben rund 350 Milliarden Euro pro Jahr in der Schwarzarbeit. Wenn es uns durch ein faires Steuersystem gelingt, einen Teil davon in die reguläre Volkswirtschaft zurückzuführen, sind die Staatsfinanzen konsolidiert. Im Übrigen kann mir eine Regierung, die fünf Milliarden Euro für eine Abwrackprämie verplempert, nicht erzählen, dass es für ein gerechtes Steuersystem keine Spielräume gäbe. Finanzminister Steinbrück hat so viel Geld verbrannt ? er ist der Letzte, der uns Ratschläge geben könnte.
Frage: Im Kampf gegen Steueroasen hat Steinbrück mehrere befreundete Staaten gegen sich aufgebracht. Fordern Sie Konsequenzen?
WESTERWELLE: Erstens bin ich überrascht, dass Herr Steinmeier und Frau Merkel das mehr oder weniger laufen lassen. Zweitens bin ich besorgt, dass unsere treuesten Freunde Österreich, die Schweiz und Luxemburg so vor den Kopf gestoßen werden. Und drittens: Wenn ein Finanzminister vor der sogenannten großen Koalition Nachbarländern mit der Kavallerie gedroht hätte, hätte er selbstverständlich seinen Hut nehmen müssen. Dass Herr Steinbrück nach seiner Kavallerie-Drohung gegen unsere Nachbarländer noch im Amt ist, offenbart einen Verfall politischer Kultur.
Frage: Vermutlich werden Sie Ihre ersten Reisen als Außenminister nach Luxemburg und nach Ouagadougou führen?
WESTERWELLE: (lacht) Der Vergleich mit Ouagadougou ist schon deswegen eine intellektuelle Fehlleistung von Herrn Steinbrück gewesen, weil es sich dabei weder um einen Staat noch um ein Steuerparadies handelt. Vielleicht ist es um unser Bildungssystem ja noch schlechter bestellt, als wir immer vermutet haben. Was ich hier frotzelnd in einer bedeutenden deutschen Zeitung feststelle, mag dem einen oder anderen Leser übertrieben erscheinen. Aber wenn Sie mit Bürgern aus Nachbarländern reden, die vor etwas mehr als einem halben Jahrhundert von deutschen Truppen besetzt waren, ist die Drohung mit der Kavallerie so verletzend, dass man sich ernste Sorgen machen muss.
Frage: Der Kampf gegen Piraten am Horn von Afrika gerät allmählich zur Farce. Wie kann die Sicherheit der Handelsschiffe gewährleistet werden?
WESTERWELLE: Das robuste Mandat, das der Bundestag erteilt hat, muss auch robust angewendet werden. Die Behauptung von Innenminister Schäuble, die bisherige Verfassungslage behindere eine wirkungsvolle Bekämpfung der Piraterie, ist definitiv falsch. Wenn das Mandat des Bundestags nicht ausgeschöpft wird, mag das an der Ausstattung unserer Sicherheitskräfte liegen oder an der Zögerlichkeit von Regierenden. Aber mit der Verfassung hat das nichts zu tun.
Frage: Auch die Bundeskanzlerin unterstützt eine Verfassungsänderung. Geht es der Union darum, Bundeswehreinsätze im Innern vorzubereiten?
WESTERWELLE: Jedenfalls haben wir es mit einer vorgeschobenen Argumentation zu tun. Jeder Politiker, der behauptet, die Verfassung habe zum Abbruch von Einsätzen zur Geiselbefreiung geführt, sagt nicht die Wahrheit. Wir sind gut damit gefahren, dass wir auf der einen Seite eine Spezialtruppe der Polizei haben und auf der anderen Seite eine militärische Sondertruppe. GSG 9 und KSK können sich geradezu ideal ergänzen.
Frage: Online-Durchsuchung, Vorratsdatenspeicherung, Strafbarkeit von Terrortraining ? in zentralen Sicherheitsfragen sind Sie mit dem Innenminister über Kreuz. Könnte Schäuble in einer schwarz-gelben Regierung im Amt bleiben?
WESTERWELLE: Zumindest hat Herr Schäuble in den vergangenen Monaten bewiesen, dass er einen liberalen Gesprächspartner gut gebrauchen könnte. Der Regierung fehlt es an Respekt vor den Bürgerrechten. Wer die Verfassung verteidigt, ist kein Weichei. Er schützt das Wertvollste, was wir bieten können: eine freiheitliche Rechtsordnung.
Frage: Soll Deutschland Guantanamo-Insassen aufnehmen?
WESTERWELLE: Ich begrüße nachdrücklich, dass Präsident Obama die Schließung dieser Schande gegen die Menschlichkeit namens Guantánamo angeordnet hat. Wir werden ihn dabei unterstützen. Aber für die Inhaftierten sind zunächst einmal die Amerikaner selbst zuständig. Das weiß auch die amerikanische Regierung. Alles weitere kann erst beantwortet werden, wenn man die Einzelfälle geprüft hat. Bisher sind deutsche Stellen nicht hinreichend über die Personen informiert worden, die aufgenommen werden sollen. Es kann im Einzelfall das Gebot der Menschlichkeit geben, einen unschuldig Inhaftierten aufzunehmen. Aber ich will hier keine Generalklausel ausstellen. Im Übrigen ist es klug, diese Frage nicht nur zwischen Berlin und Washington, sondern zwischen Europa und Washington zu besprechen.
Frage: Herr Westerwelle, welche Bedeutung hat die Reise von Papst Benedikt XVI. in den Nahen Osten?
WESTERWELLE: Dass der Papst eine solche Pilgerreise gemacht hat, dass er vor den Augen der Weltöffentlichkeit das Feuer in Jad Vaschem entzündet hat, das war eine ganz große Geste. Ich denke, dass die Welt die Ernsthaftigkeit und innere Rührung des Oberhaupts der katholischen Kirche genau gespürt hat.
Frage: In Israel und vom Zentralrat der Juden in Deutschland wird die Rede des Papstes in Jad Vaschem als halbherzig kritisiert. Zu Unrecht?
WESTERWELLE: Ich möchte mir nicht anmaßen, darüber zu urteilen, was in der Rede vielleicht noch fehlte. Ich habe an anderer Stelle schon manches kritische Wort zur Politik des Vatikans gesagt ? auch zur Rehabilitierung eines Bischofs, der den Holocaust leugnet. Der Vatikan hat das Zustandekommen der Entscheidung zur Pius-Bruderschaft selber als fehlerhaft bezeichnet. Ich kann die Enttäuschung auch von Vertretern der jüdischen Gemeinde in Deutschland über fehlende Worte nachvollziehen, aber ich möchte vor allem dazu aufrufen, diese große Geste der Pilgerreise als eine Chance für das bessere Verständnis zwischen Religionen und Völkern zu achten und zu nutzen.
Frage: Was bedeutet Ihnen Benedikt XVI. persönlich?
WESTERWELLE: Obwohl ich selbst evangelischer Christ bin, halte ich ihn für eine der großen geistigen Persönlichkeiten der Welt. Das hindert mich nicht daran, in einigen Fragen ? etwa der Bekämpfung von Aids ? mit dem Papst nicht einer Meinung zu sein.
Frage: Worüber würden Sie mit Benedikt XVI. in einer Privataudienz sprechen?
WESTERWELLE: Über religiösen Fundamentalismus in der Welt. Die Politik müsste sich mit größerer Anstrengung um die Versöhnung der Religionen kümmern. Diese Schicksalsfrage tritt gerade in der Wirtschaftskrise zu sehr in den Hintergrund. Je mehr intoleranter Fundamentalismus sich in der Welt breit macht, desto größer wird die Gefahr von Kriegen.
Frage: Würden Sie sich selbst als gläubig bezeichnen?
WESTERWELLE: Ja. Auch wenn einige das mit einem Liberalen auf den ersten Blick nicht verbinden mögen: Ich bin aus Glauben und Überzeugung in der Kirche. Beide großen Kirchen ? und andere Religionsgemeinschaften ? leisten einen beeindruckenden Dienst für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.
Frage: Beten Sie?
WESTERWELLE: Wie ich meinen Glauben praktiziere, ist privat. Der Mensch ? sein Geist, seine Seele, seine Liebe ? ist mehr als ein physikalischer und biochemischer Prozess. Das ist für mich felsenfest klar.
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Datum: 14.05.2009 - 14:41 Uhr
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