KOCH-MEHRIN-Interview für die 'Schweriner Volkszeitung'
ID: 91381
KOCH-MEHRIN-Interview für die "Schweriner Volkszeitung"
Frage: Die Liberalen werben im Wahlkampf für Steuersenkungen. Ist das nicht Täuschung in Zeiten der Krise, in Zeiten riesiger Haushaltslöcher?
KOCH-MEHRIN: Im Gegenteil. Ich halte den Plan für wichtiger denn je. Obama macht es ja vor. Er hat in seinem US-Konjunkturpaket ein Drittel für Steuersenkungen vorgesehen. Wir wollen vor allem ein faires Steuersystem, damit die Ehrlichkeit wieder zunimmt. Jedes Jahr erwirtschaftet die Schattenwirtschaft 350 Milliarden Euro. Wenn wir davon nur einen Bruchteil zurückholen, haben wir Geld für Steuersenkungen.
Frage: Setzen Sie nicht allein auf das Prinzip Hoffnung?
KOCH-MEHRIN: Gegenfrage: Muss man tatsächlich mehr als die Hälfte seines Gehalts für Steuern und Abgaben streichen? Ich meine nein. Die Bereitschaft, die Steuern ehrlich zu zahlen, ist sehr viel größer, wenn die Sätze niedriger sind.
Frage: Die FDP plant, dass Familien mit zwei Kindern bis zu einem Jahreseinkommen von 40000 Euro steuerfrei bleiben. Im Nordosten wird soviel kaum verdient. Zahlen müssten also vor allem Familien aus den alten Ländern. Befürchten Sie nicht, dass daraus eine ganz neue Ost-West-Debatte resultiert?
KOCH-MEHRIN: Ich kann das nicht sehen. Es geht um ein grundlegendes Prinzip: Diejenigen, die arbeiten, müssen mehr von dem behalten, was sie verdienen. Das versuchen wir sowohl über die Steuersätze als auch die Freibeträge, über die Erhöhung des Kindergeldes und die Absetzbarkeit von Kinderbetreuung zu regeln.
Frage: Der Parteichef sagt, es gebe ein Recht auf Faulheit, ?aber kein Recht auf staatlich bezahlte Faulheit?. Ein heikles Thema in einem Land mit hoher Arbeitslosigkeit. Auf dem Parteitag in Hannover hat Westerwelle dafür Applaus erhalten. Was aber sagen Sie den Menschen in Rostock oder Schwerin?
KOCH-MEHRIN: Ich glaube nicht, dass man diesen Vorwurf jenen Arbeitslosen machen kann, die unverschuldet ihren Job verloren haben. Und das hat Guido Westerwelle auch nicht gesagt. Wir fragen uns vielmehr: Wie können Arbeitsplätze entstehen? Der Staat schafft das nicht. Er kann nur überbrücken. Wir wollen deshalb keine Sozialleistungen an mehr als 30 verschiedenen Stellen, wir wollen Hilfe zusammenfassen in einem Bürgergeld ? und ein Ende der Bittstellerei.
Frage: Im Wahlkampf treten Sie dreimal mit Hans-Dietrich Genscher auf. In dessen Ära hatten die Liberalen lange Jahre mit der SPD regiert. Haben Sie ihn mal gefragt, wie das funktioniert?
KOCH-MEHRIN: Die Situation jetzt ist eine komplett andere. Wir haben kein Drei-Parteien-System mehr, wir haben fünf Parteien im Bundestag ? und wir stehen vor der Alternative, dass es entweder eine Mehrheit für Union und FDP gibt oder eine linke Mehrheit. Und wenn es eine linke Mehrheit gibt, kommt über kurz oder lang auch die linke Regierung.
Frage: Sie könnten das mit einer Ampel-Koalition verhindern.
KOCH-MEHRIN: Das ist eher der Wunschgedanke einiger SPD-Führungspersönlichkeiten. Wir haben ganz deutlich gesagt, dass wir eine Woche vor der Bundestagswahl auf unserem Bundesparteitag die formale Koalitionsaussage machen. Und wir erwarten natürlich, dass auch die Union eine solche Aussage macht.
Frage: Die Union ziert sich mit der verbindlichen Koalitionsaussage, schiebt Steuerentlastungen auf die lange Bank. Sieht so ein Wunschpartner aus?
KOCH-MEHRIN: Es gibt mittlerweile zwei zu staatsgläubige so genannte Volksparteien in Berlin. Die eine hat die Parteifarbe rot, die andere schwarz. Und dass CDU und CSU die Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft nicht mehr verinnerlicht haben, ist etwas, was mich sehr beunruhigt. Eine Alternative zur Union gibt es aber nicht.
Frage: Ab nach Europa: Rainer Brüderle nannte sie die ?Jeanne d?Arc der FDP?, nachdem Sie die FDP vor fünf Jahren wieder ins Europaparlament gebracht haben. Jetzt sind Sie wieder das liberale Europagesicht. Wie gefällt Ihnen die Helden-Rolle?
KOCH-MEHRIN: Es ist ja Teil des Politikerjobs, dass man immer wieder Etiketten angeheftet oder auch Preise verliehen bekommt. Damit muss man leben. Ich bin Ritterin der Coprayer Hofrunde, habe mal den ?Platten Dumen? erhalten und auch sonst alle möglichen Bezeichnungen. Aber ich mache einfach meine Arbeit.
Frage: Es wurde ja schon mit Ihrer Person verbunden, dass die FDP damals über sechs Prozent bekam...
KOCH-MEHRIN: Da haben hunderte, tausende Parteifreunde mitgemacht. Aber sicher lag der Erfolg auch daran, dass die FDP ein klares Zeichen gesetzt hat, dass wir nicht wie andere Parteien ausgediente Politiker nach Brüssel schicken.
Frage: Andere Nationen gehen diesen Weg längst. Warum ist es in Deutschland anders?
KOCH-MEHRIN: Die meisten Parteien denken immer noch: Brüssel ist weit weg und hat nichts mit unserer Arbeit zu tun. Das ist völliger Unsinn. Mehr als 70 Prozent der Gesetze, die bei uns gelten, haben ihren Ursprung in der EU. Von 21000 zwischen 1998 und 2005 erlassenen Gesetzen, Verordnungen und Richtlinien kamen 18000 aus Brüssel und nur 3000 wurden in Deutschland gemacht. Dem einen oder anderen Politiker muss es wehtun, hier eigentlich nur, überspitzt gesagt, Erfüllungsgehilfe zu sein, zu erkennen: ?Ich kann gar nicht so viel gestalten, wie ich gerne den Anschein geben möchte.? Das machen viele andere Länder sehr viel besser. Sie diskutieren sehr viel früher über EU-Themen und sind uns auch beim Besetzen von strategischen Posten weit voraus.
Frage: Vor fünf Jahren sind Sie mit viel Elan in Brüssel gestartet. Wie sieht die Bilanz aus?
KOCH-MEHRIN: Wir sind ja zu siebt in Brüssel und haben es von Anfang an klar als Teamaufgabe gesehen. Es gibt über 20 Ausschüsse. Die können wir nicht alle besetzen. Aber wir haben zum Beispiel bei den CO2-Beschlüssen für Autos prägend mitgearbeitet. Wir hatten die Federführung bei der Feinstaub- und der Dienstleistungsrichtlinie sowie der Chemikalienverordnung. Es wäre aber vermessen, sich in einem Parlament von 785 Abgeordneten mit einem persönlichen Erfolg zu brüsten.
Frage: Sie treten für mehr direkte Demokratie und Volksabstimmungen ein. Wie, glauben Sie, hätten die Deutschen über die EU-Verfassung abgestimmt?
KOCH-MEHRIN: Ich denke, die Deutschen hätten damals in der Mehrheit zugestimmt. Natürlich braucht man vorher mindestens ein halbes Jahr, in dem Debatten stattfinden. Beim Vertrag von Lissabon bin ich schon nicht mehr so sicher. Denn das, was nach dem Scheitern der Verfassung passiert ist, ist ein Lehrstück dafür, wie sich Bürokraten und Hinterzimmerpolitiker vor ihren Bürgern verstecken. Die Möglichkeit, über den Lissabon-Vertrag per Referendum abzustimmen, wurde überall gekappt. Deutlicher kann man nicht zeigen, wie groß die Angst vor den Bürgern ist.
Frage: Auch beim Glühbirnenverbot oder Vorgaben für Salzgehalt im Brot geht es offenbar nicht immer nach dem Bürgerwillen. Was läuft falsch in der EU?
KOCH-MEHRIN: Generell läuft falsch, dass wir mehr und mehr Kompetenzen an die EU gegeben haben, ohne das Ganze demokratisch zu machen. Es gibt ja das berühmte Zitat von Ralf Dahrendorf: Wenn die EU selbst Antrag auf Mitgliedschaft bei sich stellen würde, würde sie nicht zugelassen. Begründung: keine Demokratie. Ich finde, das trifft es genau. Denn wir haben inzwischen bei der EU extrem weit reichende Kompetenzen, ohne dass es klare Verantwortlichkeiten oder Gewaltenteilung gibt. Das Grundproblem ist: Die EU muss sehr viel vorsichtiger sein, bei dem, was sie macht und beschließt.
Frage: Wie bei der Glühbirne?
KOCH-MEHRIN: Das ist eines dieser Beispiele, das für jeden fassbar ist. Es ist ein Unding, dass eine Behörde wie im Sozialismus entscheidet, was man kaufen darf und was nicht. Ich hätte mir gewünscht, dass es nicht zum Verbot kommt.
Frage: Stichwort Bürokratie. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es ein Seilbahngesetz. Haben Sie weitere Beispiele für Gesetzes-Irrsinn?
KOCH-MEHRIN: Wir haben eine Leiterverordnung, die genau festlegt, wie Leitern europaweit aufzustellen sind. Auch das ist kein Thema für die EU. Genauso gibt es eine Richtlinie zum Baden. Und wir haben gerade beschlossen, dass man Im-Stau-Stehen künftig für Lkw mit höherer Maut belegen darf. Damit soll falsches Fahrverhalten bestraft werden. Man könnte denken, das sind Schildbürgerstreiche. Solche Dinge steigern den EU-Frust.
Frage: Warum sollten die Deutschen am 7. Juni trotzdem wählen?
KOCH-MEHRIN: Wenn man nicht wählen geht, sind im Zweifel mehr von den Abgeordneten im Parlament, die man dort nicht haben will.
Frage: Sie haben drei Töchter. Wie erklären Sie denen eigentlich, was sie beruflich machen?
KOCH-MEHRIN: Meine älteste Tochter ist sechs. Europa versuche ich ihr so zu erklären wie einen Strauß bunter Luftballons. Es gibt unterschiedliche Größen, unterschiedliche Formen, aber es gibt keinen, der besser ist als der andere. Und das Wichtige ist, dass man sich gegenseitig respektiert und gut findet.
URL: http://www.liberale.de
Bereitgestellt von Benutzer: pressrelations
Datum: 22.05.2009 - 14:32 Uhr
Sprache: Deutsch
News-ID 91381
Anzahl Zeichen: 0
pressrelations.de – ihr Partner für die Veröffentlichung von Pressemitteilungen und Presseterminen, Medienbeobachtung und Medienresonanzanalysen
Diese Pressemitteilung wurde bisher 530 mal aufgerufen.
Die Pressemitteilung mit dem Titel:
"KOCH-MEHRIN-Interview für die 'Schweriner Volkszeitung'"
steht unter der journalistisch-redaktionellen Verantwortung von
FDP (Nachricht senden)
Beachten Sie bitte die weiteren Informationen zum Haftungsauschluß (gemäß TMG - TeleMedianGesetz) und dem Datenschutz (gemäß der DSGVO).