WESTERWELLE-Gastbeitrag für die ?Welt am Sonntag?

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WESTERWELLE-Gastbeitrag für die "Welt am Sonntag"



(pressrelations) - >Berlin. Der FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE schrieb für die "Welt am Sonntag" den folgenden Gastbeitrag:

Zum Tode von Lord Ralf Dahrendorf

Als ich politisch zu denken anfing und in der FDP aktiv wurde, da war Lord Dahrendorf bereits eine Ikone: Erstens, eine Ikone der intellektuellen 68-er Auseinandersetzung. Zweitens, eine Ikone der Wissenschaft. Und drittens, eine Ikone des politischen Liberalismus.

1983 erschien sein Buch "Die Chancen der Krise. Über die Zukunft des Liberalismus". In dieser Zeit wurde ich Vorsitzender der Jungen Liberalen. Ich fand die Lektüre höchst bereichernd und irritierend zugleich. Für mich wurde vieles aus diesem Buch zu einem politischen Kompass. Gleichzeitig aber passte so vieles, was Lord Dahrendorf dort beschrieb, nicht zu seinem Image in der veröffentlichten Meinung.

Das Buch postuliert "das Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts". Nicht etwa im parteipolitischen Sinne, aber doch im Sinne der Abkehr von der vorherrschenden Meinung der 70-er Jahre von der allumfassenden Steuerung der Gesellschaft durch den Staat. Gleichzeitig konnte man in der Presse immer wieder lesen: "Der linksliberale oder sozialliberale Ralf Dahrendorf." Diese Attribute waren vielleicht mehr Ausdruck des Zeitgeistes, dass Geist links sei. Und wenn ein Liberaler Geist habe, dann könne er wohl nur linksliberal sein. Ich habe mich an diese falsche Etikettierung oft erinnert, als uns in den 90-er Jahren das Attribut "neoliberal" in den Medien angehängt wurde.

Tatsächlich ist Lord Dahrendorf immer seiner eigenen liberalen Tradition treu geblieben. Für mich ist das in dem Buch "Die Chancen der Krise" deutlich geworden, weil er eine gängige Meinung nicht einfach hinnimmt. Wenn zu viele selbstverständlich die Interpretation eines Ereignisses für gegeben halten, dann schien es ihm geradezu ein Anliegen zu sein, diese Interpretation zu hinterfragen. Übrigens oft auch die Hoheitsmeinung der eigenen Partei. Was manche als akademische Eigenheit des Professors abgetan haben, ist in Wirklichkeit liberales Prinzip: Autoritäten stets nach ihrer Begründung zu hinterfragen.



Man kennt das Bild, wie Rudi Dutschke und Ralf Dahrendorf am Rande des FDP-Parteitages in Freiburg 1968 mit Mikrofon unter freiem Himmel diskutieren. Der Professor mit Trenchcoat, Anzug und Krawatte. Übrigens waren die Studenten so ordentlich gescheitelt, als wenn sie gerade Mitglied der Jungen Union geworden wären. Vom revolutionären Outfit war da noch wenig zu sehen. Dass aber Lord Dahrendorf sich nicht der Auffassung anschloss, den Status Quo des sogenannten Establishments zu verteidigen, zeichnete ihn aus. Er hat nicht die Gegnerschaft zu der 68-er Bewegung gesucht, sondern Brücken gebaut. Lord Dahrendorf war nie Anhänger eines erstarrten Status Quo. Fortschritt und Veränderung waren für ihn wesentliche gesellschaftliche Antriebskräfte. Wer Freiheit will, kennt kein Ende der Geschichte.

Rückblickend scheint es wünschenswert, dass es mehr Persönlichkeiten gegeben hätte wie Ralf Dahrendorf in der damaligen 68-er Bewegung. Denn vielleicht wäre einiges an Radikalität zu verhindern gewesen, wenn mehr Brücken gebaut worden wären. Viele wollten zu Recht die konservative Erstarrung der Gesellschaft beenden, aber einige haben daraus den fatalen Schluss gezogen, die Demokratie und den Rechtsstaat mit Gewalt zu bekämpfen. Jedenfalls gehört für mich zu den Lehren der 68-er Zeit: Den Veränderungswunsch aus der Gesellschaft aufzunehmen, ihm eine politische Stimme zu geben, denn sonst geschieht die Veränderung nicht mehr aus der Mitte der Gesellschaft, sondern von ihren Rändern.

Was mir in der heutigen Zeit fehlt, ist das politische Bekenntnis und Engagement der akademischen Eliten. Ich bin der Auffassung, dass die deutschen Universitäten besser sind als ihr internationaler Ruf. Ich bin auch der Auffassung, dass Professoren und Parteien stärker aufeinander zugehen sollten. Es ist nämlich eine Bereicherung für die Politik, wenn akademische Geister dort aktiv werden. Wer einen Mangel an intellektuellen Diskussionen in der Politik beklagt, der darf nicht selbst auf den Zuschauertribünen der Universitäten bleiben. Dem Beispiel Ralf Dahrendorfs sollten viele folgen.

In seinem Buch "Die Chancen der Krise" rief Ralf Dahrendorf auch den Liberalismus zur Ordnung, als er schrieb: Liberalismus heißt in der Gesellschaftspolitik "weniger Staat" und in der Außenpolitik "mehr Europa".

1970 wurde er Mitglied der Europäischen Kommission und blieb das bis 1974. Von Hans-Dietrich Genscher und Lord Dahrendorf habe ich gelernt: Die Idee des gemeinsamen Europa ist im bestverstandenen Sinne zutiefst im nationalen Interesse Deutschlands. Dass es zur Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg und zur Überwindung der Mauer des Kalten Krieges kam, das ist auch Europäern wie Lord Dahrendorf zu verdanken.

Ralf Dahrendorf hat mich in meiner politischen Prägungsphase sehr beeinflusst: "Wir haben alle ein paar Vorstellungen in uns aufgenommen und um uns herum zur Selbstverständlichkeit werden lassen, die das Thema des sozialdemokratischen Jahrhunderts definieren: Wachstum, Gleichheit, Arbeit, Vernunft, Staat, Internationalismus. Der wohlwollende Staat ist die zentrale Instanz sozialdemokratischen Handelns." Und dann fragt Lord Dahrendorf weiter: "Was, wenn die Hoffnungen der Menschen sich auf einmal vom Staat abwenden, weil er nicht mehr als wohlwollend empfunden, sondern als teurer Versager gesehen wird?"

Lord Dahrendorfs Erbe ist die Mahnung an uns, dass aus der Mitte der Gesellschaft nicht die vergessene Mitte der Politik wird. Dazu sollten wir uns wie er fragen, was die Gesellschaft zusammen hält. Es ist nicht der Staat, es sind nicht die Großorganisationen und erst recht nicht die Neiddebatten manches Wahlkampfes. Es sind Freiheit und Verantwortung, die unsere Gesellschaft zusammen halten.

Ein großer Intellektueller, einer der bedeutendsten Soziologen, ein prägender Europäer und ein liberaler Weltbürger ist gegangen. Sein Werk bleibt. Das schreibe ich in Dankbarkeit.


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Datum: 22.06.2009 - 14:41 Uhr
Sprache: Deutsch
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