F.A.Z. - Interview mit der Bundeskanzlerin
ID: 168664
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Frage: Frau Bundeskanzlerin, regieren Sie ein dekadentes spätrömisches Reich
deutscher Nation?
Antwort: Ich regiere ein großartiges Land mit einer christlich-liberalen
Koalition und das in einer Zeit mit der schwersten Wirtschaftskrise seit
Jahrzehnten. Wir haben durch diese Krise eine Vielzahl wahrlich schwieriger
Aufgaben zu lösen.
Frage: Warum haben Sie sich von der Wortwahl Ihres Vizekanzlers und
Außenministers Westerwelle distanziert, der in der Diskussion über den deutschen
Sozialstaat "spätrömische Dekadenz" ausgemacht haben wollte?
Antwort: Koalitionen bestehen aus Parteien und jede Partei führt Diskussionen
eigenständig auf ihre Weise, das soll auch so bleiben. Ich möchte aber
vermeiden, dass durch bestimmte Formulierungen wie etwa "Man muss noch sagen
dürfen" der Eindruck entstehen kann, es werde etwas ausgesprochen, was nicht
selbstverständlich ist, als gebe es also ein Tabu. Das trifft ja gerade bei der
Umsetzung des Hartz IV-Urteils und beim sogenannten Lohnabstandsgebot nicht zu.
Frage: Westerwelle hat bloß etwas Selbstverständliches gesagt?
Antwort: Für alle Mitglieder der Bundesregierung ist es selbstverständlich, dass
jemand, der arbeitet, mehr bekommen muss, als jemand, der nicht arbeitet. Dazu
herrscht große Übereinstimmung, bis in die Oppositionsparteien hinein.
Selbstverständliches sollte selbstverständlich bleiben, damit man in der Sache
zu guten Ergebnissen kommen kann. Ich erspare Ihren Lesern im übrigen die
Aufzählung aller Parteitagsbeschlüsse der CDU oder unzähliger Reden von mir
exakt zu diesem Punkt. Unsere Rechtslage zu den Sanktionsmöglichkeiten bei
Pflichtverletzungen von Hartz IV-Leistungsempfängern zählt außerdem schon heute
zu den strengsten in der EU.
Frage: Hat die FDP bereits konkrete Forderungen gestellt zur Neuregelung von
Hartz IV?
Antwort: Es gibt konkrete Vorstellungen von allen drei Regierungsparteien. Schon
in der Zeit der großen Koalition hatte die Union die Absicht, die
Zuverdienstmöglichkeiten für Hartz IV-Empfänger zu verbessern, was allerdings am
Widerstand der SPD gescheitert war. Jetzt in der christlich-liberalen Koalition
wollen wir die Zuverdienstmöglichkeiten vereinfachen. Wir sind uns einig, dass
die Anreize für Hartz IV-Empfänger, zur Aufnahme einer Beschäftigung noch
verbessert werden können. Wir werden das in einer kompakten Gesetzesinitiative
ändern.
Frage: Westerwelle will demnach im Grunde, was schon Jürgen Rüttgers forderte:
die Grundrevision von Hartz IV?
Antwort: Die Änderungen, die wir als Koalition angehen, betreffen die Neuordnung
der Job-Center, die Neuregelung der Regelsätze nach dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts und wie gesagt die Möglichkeiten des Zuverdienstes.
Dazu kommt noch die gemeinsam beschlossene Änderung der Erhöhung des
Schonvermögens, weil Union wie FDP der Meinung sind, dass Eigeninitiative zur
Altersvorsorge nicht bestraft werden sollte. Der Hinzuverdienst zu Hartz IV soll
neu geregelt werden, damit die Anreize auch mehr als 100 Euro hinzuzuverdienen,
verbessert werden.
Frage: Wo wollen Sie die zig Milliarden, die künftig jedes Jahr gespart werden
müssen, denn wegnehmen, wenn nicht bei Leistungsgesetzen wie Hartz IV?
Antwort: Das Bundesverfassungsgericht hat die sozialstaatliche Verbürgung des
Existenzminimums deutlich gestärkt. Die Richter haben uns aufgefordert, die
Regelsätze für Erwachsene zu prüfen, auch wenn die geltenden nicht evident
falsch sind. Damit gelten die heutigen Sätze als Orientierungspunkt. Für Kinder
müssen die Sätze völlig eigenständig und nicht wie bisher als bloßer Prozentsatz
der Erwachsenen-Sätze errechnet werden. Hinzu kommt, dass Bildungsleistungen für
Kinder anders als heute berücksichtigt werden müssen. Das könnte auch als
Sachleistungen erfolgen. Diese Arbeit müssen wir in diesem Jahr leisten. Was das
Konsolidieren angeht, so werden wir die Vorgaben der Schuldenbremse einhalten.
Diese Koalition hat sich dabei das vorrangige Ziel gesetzt, mehr Wachstum zu
erzeugen. Wachstum heißt vor allem, mehr Beschäftigung. Durch mehr Beschäftigte
haben wir mehr Einnahmen in den Sozialkassen und im Haushalt. Insofern steht für
uns die Frage im Vordergrund, wie wir für Beschäftigung sorgen.
Frage: Westerwelle hat eine geistig-politische Wende gefordert, als ginge es um
eine neue Sozialstaatsphilosophie. Machen Sie diese Wende mit?
Antwort: Wir haben trotz aller schon genannten Aufgaben alles in allem einen
leistungsfähigen Sozialstaat, der dem Einzelnen Sicherheit und Halt gibt und dem
Land seit Jahrzehnten Stabilität. Mir geht es um die Zukunftsfähigkeit
Deutschlands, wozu auch Forschung, Bildung, Antworten auf die Demographie und
Fragen des Zusammenhalts der Gesellschaft zählen, daran arbeiten wir bereits
sehr intensiv. Bei all diesen Themen haben Union und FDP große
Übereinstimmungen. Diese christlich-liberale Koalition ist am besten geeignet,
Deutschland zukunftsfest zu machen.
Frage: Warum streiten Sie sich dann bei so vielen Themen: Steuern, Gesundheit,
Kernkraft, Vertriebene...
Antwort: Nach der Diskussion folgen Lösungen, das ist entscheidend. So ist bei
der Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" ein guter Kompromiss erzielt
worden und dieses wichtige Projekt kann jetzt umgesetzt werden. Das halte ich
für wichtig, dafür habe ich mich als Bundeskanzlerin immer eingesetzt.
Steuerpolitisch gibt es zwischen Union und FDP im Kern keinen Unterschied: Wir
alle wollen ein einfacheres, niedrigeres und gerechteres Steuersystem. Und
zugleich gilt für uns gemeinsam, dass die im Grundgesetz verankerte
Schuldenbremse berücksichtigt werden muss. Beide Ziele werden wir in diesem Jahr
bei der Entscheidung miteinander in Einklang bringen müssen. Auch beim Thema
Kernenergie halten wir uns an das im Koalitionsvertrag vereinbarte Verfahren und
wir werden im Herbst in einem Gesamtkonzept zum Energie-Mix für Deutschland über
die Laufzeiten entscheiden. Dass Minister aufgrund der Verantwortung in ihren
Ressorts unterschiedliche Akzente setzen, ist selbstverständlich, das habe ich
früher genauso gemacht.
Frage: Hatte Röttgen seinen kernkraft-kritischen Vorstoß mit Ihnen abgestimmt?
Antwort: Die Bundesminister leiten nach dem Grundgesetz ihren Geschäftsbereich
selbständig und unter eigener Verantwortung, und sie alle arbeiten auf der
Grundlage der Koalitionsvereinbarung. Dazu steht auch Norbert Röttgen.
Frage: Vor der Bundestagswahl haben Sie eine Debatte um die Atomkraft gemieden.
Ist es da klug, sie nun vor der wichtigen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen zu
führen?
Antwort: Debatten müssen geführt werden, wenn sie da sind. Jeder Versuch,
Diskussionen unter dem Tisch zu halten, führt bekanntlich meistens dazu, dass
sie dann mit doppelter Wucht nach oben gelangen. Die Koalition hat eine klare
Haltung zur Kernkraft: Wir wollen sie als Brückentechnologie. Wir gehen davon
aus, dass die deutschen Kernkraftwerke länger laufen werden als bis zum Jahr
2020, wie es die rot-grüne Regierung vorhatte. Wir werden nun unter der Maßgabe
der Versorgungssicherheit, des Strompreises und der Umwelt- und
Klimaverträglichkeit den besten Pfad suchen, um in das Zeitalter der
regenerativen Energien zu gelangen.
Frage: Ist Röttgen Wegbereiter für ein schwarz-grünes Bündnis, erst am Rhein,
dann an der Spree?
Antwort: Nein. Das ist eine unsinnige Diskussion. In Nordrhein-Westfalen arbeite
ich dafür, dass Jürgen Rüttgers seine Koalition mit der FDP auch nach der Wahl
fortführen kann. Und für Berlin gilt: Wir haben jetzt seit 120 Tagen endlich die
Koalition aus Union und FDP im Bund, für die wir viele Jahre gearbeitet haben.
Beide Parteien haben mit Abstand die größten inhaltlichen Schnittmengen. Schaut
man sich dagegen die Positionen von Union und Grünen genauer an, sieht man, wie
weit wir auseinander liegen. Darüber hinaus ist das, was die Grünen für sich
reklamiert hatten, nämlich für Klimaschutz und erneuerbare Energien zu sein,
längst nicht mehr ihr Alleinstellungsmerkmal. Das ist heute Gemeingut aller
Parteien. Ich war vier Jahre Bundesumweltministerin und finde, dass dieses Thema
bei der CDU sehr gut aufgehoben war und ist. Norbert Röttgen ist ein engagierter
Streiter für Klimaschutz und erneuerbare Energien und untermauert diese
Kompetenz der CDU.
Frage: Als Umweltministerin waren Sie für die Kernkraft. Was hat Ihre Haltung
verändert?
Antwort: Ich halte den Betrieb der deutschen Kernkraftwerke nach wie vor für
verantwortbar. Wir sprechen heute von einer Brückentechnologie, weil seit meiner
Zeit als Umweltministerin der Anteil der erneuerbaren Energien in einer
unglaublichen Weise gesteigert werden konnte. Damals lag er bei vier Prozent vom
Stromverbrauch, heute gibt es Schätzungen mit einem Anteil von 40 Prozent für
das Jahr 2030. Das zeigt, wie positiv sich die Förderung der regenerativen
Energien ausgewirkt hat. Damit ist ein Ersetzen der Atomkraft viel realistischer
geworden als in den 90er Jahren zu meiner Zeit als Umweltministerin.
Frage: Wie lange werden die Meiler Neckarwestheim 1 und Biblis A noch am Netz
bleiben?
Antwort: Ich werde mich zu der Laufzeit einzelner Kraftwerke nicht äußern.
Zuerst muss wie gesagt grundsätzlich das gesamte Energieszenario mit
regenerativen Energien, Kernenergie und fossilen Energien errechnet werden. In
diesem Kontext wird dann die Frage zu entscheiden sein, wie lange wir Atomkraft
noch brauchen - und das wird gewiss über 2020 hinaus sein.
FRAGE: Wie ist eine Gesundheitsreform mit der FDP möglich, die den
Gesundheitsfonds der großen Koalition abschaffen will? Die FDP fordert ja Ihre
alte Gesundheitsprämie, doch man hat den Eindruck, dass Sie davon abrücken.
ANTWORT: Die Koalition ist sich einig, dass wir die Krankenkassenbeiträge von
den Lohnkosten stärker entkoppeln wollen, denn in unserer alternden Gesellschaft
würden wir sonst die Wettbewerbsfähigkeit der Arbeitsplätze aufs Spiel setzen.
Das Ziel ist weiterhin Spitzenmedizin für jedermann. Der Gesundheitsfonds ist
Ausgangspunkt für die Arbeit an der notwendigen Weiterentwicklung, für die wir
jetzt als 1. Schritt eine Regierungskommission eingesetzt haben.
FRAGE: Doch die Beiträge an die Kassen steigen.
ANTWORT: Man sieht an dem Wettbewerbselement der Zusatzbeiträge, die von einigen
Krankenkassen verlangt, von der Mehrheit der Kassen aber nicht, wie notwendig
und sinnvoll es ist, mehr Transparenz in das System zu bringen. Die
Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Krankenkassen muss für den Versicherten
besser sichtbar werden. So können die Versicherten besser entscheiden, bei
welcher Krankenkasse sie versichert sein wollen.
FRAGE: Es wird so oder so mit mehr Kosten in Milliardenhöhe zu rechnen sein,
allein wegen des Sozialausgleichs. Oder sehen Sie das anders?
ANTWORT: Das Gesundheitssystem ist seit jeher ein solidarisches System. Es hat
einen Solidarausgleich, der über Beiträge läuft, die an die Löhne gekoppelt
sind. Er findet schon heute automatisch in dem System statt. Wenn der
Solidarausgleich konzeptionell getrennt wird von den reinen Gesundheitskosten,
kann der Versicherte stärker sehen, welche Leistungskraft die jeweilige Kasse
hat.
FRAGE: Was heißt das konkret?
ANTWORT: Ich kann das Ergebnis der Regierungskommission nicht vorwegnehmen.
Unser Ziel ist, dass wir eine bessere Entkopplung der Arbeitskosten von den
Gesundheitskosten und ein weiterhin solidarisches System wollen, verbunden mit
einem neu zu definierenden Solidarausgleich. Unter dem Strich kostet das nicht
unbedingt mehr Geld als heute im System vorhanden ist.
FRAGE: Dann ist also auch noch Geld für Steuersenkungen da?
ANTWORT: Die Frage der Entlastung, insbesondere in den mittleren und kleinen
Einkommen - Stichwort Mittelstandsbauch - steht selbstverständlich auf der
Tagesordnung, ebenso wie das Einhalten der Schuldenbremse. Insgesamt wird es
darauf ankommen, die Voraussetzungen für Wachstum und Beschäftigung zu schaffen.
FRAGE: In Nordrhein-Westfalen reicht es laut Umfragen nicht wieder für
Schwarz-Gelb. Wären dann die großen Streitkomplexe mit der FDP im Bund -
Steuerstrukturreform und Gesundheitsreform - vom Tisch, weil es dafür keine
Bundesratsmehrheit mehr gäbe?
ANTWORT: Wir wollen einen Sieg von CDU und FDP bei der Landtagswahl in
Nordrhein-Westfalen. Steuervereinfachung und -entlastung,
Haushaltskonsolidierung, Wachstum, Beschäftigung, Bildung - das sind die
gemeinsamen Aufgaben der Bundesregierung. Wir wollen für die Lösung dieser
großen Aufgaben natürlich eine Mehrheit im Bundesrat, aber auch für
Nordrhein-Westfalen selbst ist eine christlich-liberale Regierung die beste
Regierung.
FRAGE: Haben Sie denn jetzt den Eindruck, Sie können durchregieren?
ANTWORT: Der Bundesrat ist kein Parlament, sondern vertritt Länderinteressen.
Deshalb müssen alle Bundesregierungen harte Verhandlungen um einen
Interessenausgleich mit den Ländern im Bundesrat führen. Allerdings gibt es mit
der Mehrheit von Landesregierungen aus Union und FDP natürlich die besten
Voraussetzungen zur Umsetzung der Projekte, die wir uns vorgenommen haben, als
in allen anderen Konstellationen.
FRAGE: Der SPD-Vorsitzende Gabriel möchte Steuerhinterziehung als Verbrechen
anstatt als Vergehen geahndet sehen ab 500 000 Euro. Ab einer Million Euro müsse
Gefängnisstrafe ohne Bewährung drohen. Sind das vernünftige Vorschläge?
ANTWORT: Schnellschüsse helfen hier nicht weiter. Steuerhinterziehung ist kein
Kavaliersdelikt und muss hart bestraft werden, weil die Forderung nach mehr
Ehrlichkeit natürlich für Alle in unserer Gesellschaft gelten muss. Das Strafmaß
für Steuerhinterzieher muss sich einfügen in die gesamte Rechtsordnung.
FRAGE: Freuen Sie sich darüber, dass jeden Tag neue Steuersünder-CDs angeboten
werden?
ANTWORT: Nein, wir arbeiten vielmehr daran, alles zu tun, diese
Steuerhinterziehung zu verhindern. Bundesfinanzminister Schäuble hat seinen
Kollegen Herrn Merz und ich der Schweizer Bundespräsidentin Leuthard klar
gesagt, wie notwendig daher ein baldiger Abschluss für ein
Doppelbesteuerungsabkommen ist. Bei unseren Schweizer Nachbarn scheint ein
Diskussionsprozess im Gange zu sein.
FRAGE: Die Währungsunion steckt im Fall Griechenland in der Klemme. Der
Maastrichtvertrag verbietet das "Raushauen" eines EU-Staates, der überschuldet
ist. Andererseits gibt es das Solidaritätsgebot. Ist die EU für solche Fälle
gerüstet?
ANTWORT: Der Euro ist jetzt zum ersten Mal seit seiner Einführung in einer
schwierigen Situation, die er aber bestehen wird. Zunächst ist festzuhalten,
dass sich der Euro in der Finanzkrise bewährt hat und der EU große Turbulenzen
erspart geblieben sind. Die internationale Wirtschaftskrise hat aber auch zu
einem deutlichen Anstieg der Staatsverschuldung geführt. Nun wird zum Teil gegen
Länder spekuliert, in denen diese Entwicklung auf eine ungünstige Ausgangslage
und ungelöste Strukturprobleme traf. Das ist gefährlich. Allerdings müssen
Lösungsansätze an den Ursachen ansetzen, und zwar der Nachhaltigkeit der
Staatshaushalte der betroffenen Länder. Ich bin der Meinung, dass eine wirkliche
Vertrauensbildung auf den Finanzmärkten in den Euro nur dann gelingen kann, wenn
in Griechenland wie in weiteren Ländern, in denen auch sehr hohe Defizite
bestehen, das Problem bei der Wurzel gepackt wird. Ich bin deshalb sehr dankbar,
dass der griechische Ministerpräsident, anders als das früher der Fall war,
jetzt die Dinge offen gelegt hat und die hohe Bereitschaft seines Landes zur
Konsolidierung der Finanzen und Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit
bekundet. Die Glaubwürdigkeit auf den Märkten hängt davon ab, dass die für
dieses Jahr geplante Haushaltskonsolidierung von vier Prozent des
Bruttoinlandsprodukts tatsächlich erreicht wird. Ich bin sehr zufrieden, dass
die griechische Regierung bereit ist, zusammen mit der EU-Kommission, der
Europäischen Zentralbank und mit den Experten des IWF die Situation zu bewerten
und gegebenenfalls auch zusätzliche Maßnahmen umzusetzen.
FRAGE: Ist die Wurzel des Problems nicht, dass wir zwar eine gemeinsame Währung
haben, aber national unterschiedliche Wirtschaftspolitiken, von Fälschungen und
Tricksereien einmal abgesehen?
ANTWORT: Die Klammer für die nationalen Wirtschaftspraktiken ist der
Stabilitäts- und Wachstumspakt, da dem Euro keine politische Union zugrunde
liegt. Die gemeinsame Währung wurde eingeführt mit der Verpflichtung, dass die
Länder sich an den Stabilitäts- und Wachstumspakt halten. Mit dem Pakt haben wir
ein vertragliches Instrument, das eine Koordinierung der Haushaltspolitik für
die Stabilität des Euros sichert. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist von
allen 27 Mitgliedstaaten, nicht nur den Euro-Staaten, unterzeichnet worden und
muss von ihnen eingehalten werden. Die gerade für Deutschland in der Tradition
der harten D-Mark entscheidende Zielsetzung der Stabilität des Euro werde ich
mit allem Nachdruck verfolgen. Falsch wäre im ürbrigen, eine koordinierte
Wirtschaftspolitik nur für die Euro-Gruppe zu machen, während die anderen tun
und lassen könnten, was sie wollen, denn wir sind natürlich auch über den Handel
eng mit unseren Nachbarn verflochten.
FRAGE: Was bedeutet das alles für die Erweiterung der Euro-Zone?
ANTWORT: Man wird in Zukunft noch genauer hinschauen müssen, welches Land den
Euro bekommen darf. Wir brauchen mehr Transparenz und Konsequenz, damit ein
Unterlaufen der Kriterien unmöglich wird.
FRAGE: Es gibt ja noch ein ganz anderes internationales Sorgenkind: Iran. Sie
sagten schon vor Jahren, dass Iran unter keinen Umständen in den Besitz der
Atombombe kommen dürfe. Nun häufen sich die Berichte, dass genau das droht. Wie
wollen Sie das noch verhindern?
ANTWORT: Die Staatengemeinschaft arbeitet jetzt daran, die Sanktionen zu
verschärfen, wenn der Iran nicht einlenkt. Das geschieht im Augenblick unter dem
französischen Vorsitz im UN-Sicherheitsrat. Am besten wäre, im Sicherheitsrat
Einigkeit über schärfere Sanktionen zu erzielen. Ob das möglich ist, werden die
nächsten Wochen zeigen.
FRAGE: Wenn es im Sicherheitsrat nicht klappt: Gibt es dann eine Koalition der
Willigen, die ohne den Segen der Vereinten Nationen Sanktionen beschließen?
ANTWORT: Ich setze darauf, dass Russland, China und möglichst viele andere
Länder Verantwrotung zeigen und mitmachen. Wir stimmen unser weiteres Vorgehen
eng mit der Europäischen Union ab; wir wollen als Europäer alle Schritte
gemeinsam unternehmen.
FRAGE: Haben Sie mit der deutschen Wirtschaft über Sanktionen und ihre Folgen
gesprochen?
ANTWORT: Ja. Es werden derzeit viele Gespräche geführt, bei uns und in anderen
Ländern. Die Entwicklung im Iran gibt Anlass zu großer Besorgnis. Das teilen
viele in der Wirtschaft. Wir haben den Eindruck, dass der Iran auf Druck in
bestimmten Bereichen reagieren würde. Alles, was beispielsweise mit
Raffinerietechnik und Erdölprodukten zu tun hat, hat für Iran eine strategische
Bedeutung.
FRAGE: Was würden solche Sanktionen Deutschland kosten?
ANTWORT: Die Frage ist immer: Was kostet uns das Nichthandeln? Ich glaube, dass
die Kosten eines atomar bewaffneten Iran und der dadurch möglicherweise
ausgelösten Gefahr weiteren Wettrüstens im Nahen Osten und darüber hinaus
erheblich höher wären.
Das Gespräch mit der Bundeskanzlerin führten Berthold Kohler, Günther
Nonnenmacher und Wulf Schmiese
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Datum: 25.02.2010 - 05:00 Uhr
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