HAMBURGER ABENDBLATT: Christian Ahrendt, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, schreibt im Hamburger Abendblatt (Mittwochausgabe) zu den Wikileaks-Enthüllungen
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Regierung geißelt die Enthüllungsplattform, weil sie die Sicherheit
beeinträchtige und Menschen gefährde. Amazon löschte die
Internetseite, der Zahlungsdienstleister PayPal fror Konten ein und
die Kreditkartenunternehmen Mastercard und Visa kündigten der
Enthüllungsplattform den Vertrag. Im Gegenzug organisierten
Unterstützer virtuelle Sitzstreiks mit der Folge, dass Mastercard und
Visa für seine Kunden über das Internet zeitweise nicht mehr
erreichbar waren. Viele Fragen stehen also zur Debatte. Darf
WikiLeaks in nie gekanntem Ausmaß und zeitlich schneller Abfolge
geheime Dokumente von Regierungen der Öffentlichkeit zugänglich
machen? Wird WikiLeaks zensiert, wenn die amerikanische Regierung auf
große Unternehmen Einfluss nimmt, um der Plattform den Zugang zum
World Wide Web zu erschweren? Und darf hierauf mit Cyberattacken
gegen Unternehmen reagiert werden? Der Reihe nach. Keine Regierung
erlebt erfreuliche Stunden, wenn gut gehütete Geheimnisse öffentlich
werden. Aber damit müssen Regierungen leben. Deswegen ist die
Freiheit der Presse geschützt. Dieser Schutz reicht von der
Beschaffung der Informationen bis zur Verbreitung der Nachricht und
der Meinung. Ein Journalist muss seine Informationsquelle nicht
preisgeben. Dieser Schutz ist unentbehrlich. Er ist der Schlüssel zur
Informationsquelle. Sie fließt nur dann ergiebig, wenn sich der
Informant auf den Quellenschutz verlassen kann. Eine Quantifizierung
gibt es nicht. Drei geheime Dokumente ja, zweihunderttausend nein;
Watergate ja, Depeschen des amerikanischen Außenamtes nein. Der
Quellenschutz ist umfassend. Auch für WikiLeaks, wenigstens bei uns.
Zur Pressefreiheit gehört der Schutz vor Zensur. Andernfalls hätte es
der Staat in der Hand, darüber zu entscheiden, welche Nachricht und
welche Meinung das Licht der Öffentlichkeit erblickt. Es muss auch
als Zensur angesehen werden, wenn Druck auf Unternehmen ausgeübt
wird, um die Verbreitung einer Nachricht oder einer Meinung zu
unterbinden. Amazon und Co. haben uns noch etwas anderes vor Augen
geführt. Die Frage, wem das Netz gehört, ist nicht entschieden. Große
Konzerne mit Zugriff auf zentrale Schnittstellen im World Wide Web
und gerichtsfesten Geschäftsbedingungen können offensichtlich
entscheiden, wer seine Inhalte verbreiten darf und wer nicht. Hieraus
erklärt sich auch der virtuelle Sitzstreik, der sich im Netz anonym
organisiert und zeitweise die Internetseiten von Mastercard und Visa
stillgelegt hat. Hochstilisiert zum ersten Cyberkrieg ist es eine
Kraftprobe um die Frage, wem das Internet tatsächlich gehört und wie
frei es ist. Diese Frage wird sich an WikiLeaks nicht entscheiden.
Sie wird auch nicht durch einen Cyberkrieg beantwortet. Entscheiden
müssen in rechtsstaatlicher Demokratie Gerichte. Der Plattform kommt
aber die Funktion eines Katalysators zu. Die Auseinandersetzung
zeigt, wie verletzlich auch ein konstitutionelles Grundrecht wie die
Pressefreiheit immer noch ist. Wir haben uns daran gewöhnt, uns
jederzeit nahezu überall informieren zu können. Wie schnell dieses
Recht auf dem Spiel steht, führt uns die aktuelle Entwicklung vor
Augen. Ist die Blamage oder das zu Tage geförderte Geheimnis groß
genug, steigt der Wille von Regierungen, auch zentralen
Freiheitsrechten zu Leibe zu rücken. Dabei hat sich im Kern wenig
geändert. Allein die Dimension ist eine andere geworden. Nie sind in
so kurzer Zeit so schnell und in einer solchen Menge vertrauliche
Regierungsdokumente veröffentlicht worden. Diese Dimension hat eine
zweite Seite. Dokumente sind als Datensätze vielen schnell und vor
allem komprimiert zugänglich. Damit steigt die Chance, sie zu
kopieren und weiterzureichen. Es ist nicht die Aufgabe von WikiLeaks,
diese Datensätze für die US-Regierung zu schützen. Deswegen ist es
wünschenswert, die Diskussion zu ihrem Kern zurückzuführen. Es ist
ein altes Katz-und-Maus-Spiel. Geheimnis und Aufklärung gehören
zusammen. Das Recht, Informationen und Meinungen frei zu
veröffentlichen, ist konstitutionell für jede Demokratie und für ihr
Funktionieren unverzichtbar. Es wäre besser gewesen, die US-Regierung
hätte die neuerliche Scharte durch WikiLeaks ausgehalten. So haben
wir gelernt, dass die Freiheitsrechte auch in einer funktionierenden
Demokratie immer von Neuem verteidigt und geschützt werden müssen.
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Datum: 14.12.2010 - 17:59 Uhr
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