BERLINER MORGENPOST: So bleiben die Opfer ewig Opfer / Leitartikel von Uta Keseling
ID: 793487
Canisius-Kolleg in Berlin bekannt wurden, melden sich in unserer
Redaktion immer wieder Menschen, die Opfer oder Zeugen von
Missbrauchstaten sind. Sie wollen vor allem eines: die Aufklärung
jener Taten, über die viel zu lange geschwiegen wurde - bis heute.
Die meisten Missbrauchsopfer haben eine doppelte Leidensgeschichte
hinter sich. Sie müssen die Tat und deren oft schwere psychischen
Folgen verarbeiten. Und wenn sie - oft nach Jahren - in der Lage
sind, darüber zu sprechen, macht sie das "Systems des Schweigens"
wieder mundtot, das der Jesuitenpater Klaus Mertes vor drei Jahren
anprangerte. Die Beteuerungen der katholischen Kirche, dieses
Schweigen zu brechen, sind noch in guter Erinnerung. Aber was ist
seitdem geschehen? Einerseits: Die Kirche hat reagiert. In Berlin
sind viele katholische Institutionen in einem Netzwerk Kinderschutz
zusammengefasst. Von der Hochschule bis zum Kindergarten soll
Prävention gefördert werden. Erzieher, Gemeindemitarbeiter, alle, die
es betrifft, werden im "Erkennen, Einschätzen und Handeln" geschult.
Auf der anderen Seite steht die Aufklärung des Gewesenen - oder
besser: die Nichtaufklärung. Die Deutsche Bischofskonferenz hat die
Zusammenarbeit mit dem Kriminologischen Forschungsinstitut
Niedersachsen beendet. Das Institut sollte mit einer Studie die
Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche aufarbeiten und
Erkenntnisse darüber gewinnen, wie es kam, dass die Taten im Dunkeln
blieben. Inzwischen scheint es, als sei die Vergangenheitsbewältigung
zum akademischen Problem geschrumpft. Und die Beteiligten werfen sich
nun gegenseitig Vertrags- und Vertrauensbruch vor. Statt um die Opfer
geht es, wieder einmal, um die Rechte möglicher Täter, um Zensur und
Kontrolle. In diesem Fall um den Schutz ihrer Daten. So gesehen
machen sich die vermeintlichen Aufklärer selbst zum Teil jenes
Systems, das sie doch eigentlich bekämpfen wollten. Die Zeit heilt
alle Wunden - diese Volksweisheit gilt nicht für Traumata. Und erst
recht nicht im juristischen Sinne. Während um die Aufklärung
gestritten wird, verblassen Erinnerungen, laufen Verjährungsfristen
ab, sterben Zeugen und Täter. Taten werden nicht geahndet. Und auch
die Chance, aus der Vergangenheit zu lernen, bleibt ungenutzt. Für
die Opfer wird dadurch nichts besser - im Gegenteil. Sie bleiben, was
sie sind. Opfer eben. Menschen, die sich nicht wehren können. Weil
sie gefangen sind in jenem System des Schweigens, zwischen Vertuschen
und Verdängen, Missbilligung und Misstrauen. Solange das
Schweigesystem Macht hat, kann es keine Klarheit geben. Und auch die
Öffentlichkeit droht, selbst zum Opfer zu werden. Betrogen um die
Wahrheit, um das Wissen, welches Ausmaß die Taten innerhalb der
Kirche wirklich hatten oder immer noch haben. Es ist an der Zeit zum
Erkennen und Handeln - das gilt nicht nur für die kirchlichen
Mitarbeiter, sondern vor allem für jene, die ihnen vorstehen und sie
führen.
Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de
Themen in dieser Pressemitteilung:
Unternehmensinformation / Kurzprofil:
Bereitgestellt von Benutzer: ots
Datum: 09.01.2013 - 20:35 Uhr
Sprache: Deutsch
News-ID 793487
Anzahl Zeichen: 3426
Kontakt-Informationen:
Stadt:
Berlin
Kategorie:
Innenpolitik
Diese Pressemitteilung wurde bisher 223 mal aufgerufen.
Die Pressemitteilung mit dem Titel:
"BERLINER MORGENPOST: So bleiben die Opfer ewig Opfer / Leitartikel von Uta Keseling"
steht unter der journalistisch-redaktionellen Verantwortung von
BERLINER MORGENPOST (Nachricht senden)
Beachten Sie bitte die weiteren Informationen zum Haftungsauschluß (gemäß TMG - TeleMedianGesetz) und dem Datenschutz (gemäß der DSGVO).