Zu viel Kohle für Kohle-Konzerne / Zu spät und zu teuer: Das Kohleausstiegsgesetz ist verabschiedet, doch zu welchem Preis? Der Kompromiss wirkt unausgegoren. Leitartikel von Susanne Wiedamann
(ots) - Eigentlich hätte dieser Freitag ein Feiertag sein können. Endlich ist der Kohleausstieg unter Dach und Fach! Ein guter Tag für den Klimaschutz, möchte man meinen. Doch während die Mehrheit des Bundestags nach seinem historischen Hammelsprung das angenommene Kohleausstiegsgesetz in Verbindung mit dem Strukturstärkungsgesetz als gelungen feiert, sparen die Grünen, die Linke, Umwelt- und Klimaaktivisten, Wirtschafts- und Energieexperten rund um die Entscheidung nicht an Kritik. Greenpeace steigt dem Bundestag am Abstimmungstag sogar publikumswirksam aufs Dach. Tatsächlich ist das Gesetzespaket zum Kohleausstieg eine arge Mogelpackung. Nicht, was die Endgültigkeit betrifft: Nach 2038 wird es definitiv keine Braun- und Steinkohlekraftwerke in Deutschland mehr geben. Aber was den Zeitpunkt und die Klimaziele betrifft. Um die im Pariser Klimavertrag vereinbarten Reduzierungen an Treibhausgasen zu erreichen, müssten bereits 2030 alle deutschen Kohlekraftwerke vom Netz genommen sein. Die Entscheidung vom Freitag verheißt anderes: Was den Zeitplan für den Ausstieg betrifft, steigt Deutschland jetzt aufs Gas und steht gleichzeitig unbeirrt auf der Bremse. Das Kohleausstiegsgesetz, von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier zum "Generationenprojekt" gekürt, kommt - da sind sich die Kritiker einig - viel zu spät. Als "zukunftsvergessen", bezeichnet es Grünen-Chefin Annalena Baerbock . Als "größten politischen Klimaskandal des Jahres" geißelt Aktivistin Luisa Neubauer von Fridays-for-Future das Gesetz. "Generationenprojekt?" Da wurden die Folgen für kommende Generationen wohl vergessen. Hingegen erfährt die Kohlebranche erst einmal kräftigen Rückenwind: Mit Entschädigungszahlungen für die Kraftwerksbetreiber in Höhe von 4,35 Milliarden Euro haben diese gut lachen. Die Kohleenergiewirtschaft ist auch ohne staatliche Regulierung auf einem absteigenden Ast, seit regenerative Energien billiger produziert werden können und CO2-Zertifikate immer teuerer werden. Das heißt, hier wird ein nicht mehr rentables Geschäft knapp vor dem Aus noch einmal kräftig subventioniert. Manche Konzerne hatten die Stilllegung ihrer Kraftwerke schon vor dem Gesetz fest terminiert. Um die Entschädigung entgangener Einnahmen kann es hier also nicht mehr gehen. Der eine oder andere Energiekonzern wird sich den Abschied aus der Kohle zudem durch den in der EU erlaubten Emissionsrechtehandel vergolden. Das heißt, in Deutschland macht ein Kohlekraftwerk dicht, dafür wird dann eben jenseits der deutschen Grenzen mehr Kohle verstromt. Für das Klima kein Bilanzgewinn! 40 Milliarden Euro an Strukturhilfen wird es für die Kohleländer geben. Das Paket reicht von finanziellen Hilfen für die Länder und ihre Gemeinden für deren Projekte, dem Anpassungsgeld für arbeitslose Bergleute ab 58 Jahren, verschiedene Infrastrukturmaßnahmen wie Straßenbau und Breitbandausbau bis hin zur Verlegung von Behörden und Forschungsinstitutionen, um die Regionen für Wirtschaftsansiedelungen attraktiv zu machen. Ob die Verlegung von Behörden hier Sinn hat, darf bezweifelt werden. Vielmehr wäre es doch erforderlich, Branchen für die Regionen zu interessieren, deren Berufe für die Beschäftigten der Kohlekraftwerke echte Alternativen darstellen. Mit dem Breitbandausbau hätte man in den strukturschwachen Gebieten auch nicht auf den Kohleausstieg warten müssen. Das von Bundestag und Bundesrat abgenickte Kohleausstiegsgesetz beinhaltet Regelungen, damit nachfolgende Regierungen nicht zuviel am Zeitplan schrauben können. 2026, 2029 und 2032 soll es Überprüfungen geben, um den Kohleausstieg eventuell schon 2035 zu schaffen. Klingt gut, kommt aber für das deutsche Klimaziel eben auch zu spät.
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Datum: 03.07.2020 - 19:30 Uhr
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