Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Seehofer/Koalition von Christine Schröpf
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bleiben: Im Internet applaudieren selbst CSU-Ferne Horst Seehofer für
seine scharfzüngige Analyse zur Lage der Union und seine
Klartext-Ansage an den nordrhein-westfälischen Wahlverlierer Norbert
Röttgen. Ganz nebenbei spielte er lässig auf der weiß-blauen
Klaviatur. Als er von Heute-Journal-Moderator Claus Kleber als
deutsche Version des neuen französischen Präsidenten Francois
Hollande bezeichnet wird, korrigiert er hellwach: Wenn schon, dann
die bayerische Ausgabe. Das zunächst nicht für die Kameras gedachte
Geplänkel nach den offiziellen Fragen ist so, wie man sich Politik
wünscht: Offen, konkret, direkt, amüsant - und eben nicht bis zur
Unkenntlichkeit weichgespült. "Das können Sie alles senden, machen
Sie eine Sondersendung daraus": Seehofers unkompliziertes Plazet
verblüffte Kleber. Dabei ist es der Regelfall, dass der CSU-Chef mit
nichts hinter dem Berg hält. Während einige seiner Münchner Minister
am liebsten selbst Nichtigkeiten autorisieren lassen würden, äußert
sich Seehofer vor Journalisten im Landtag und anderswo fast immer
frei zu unterschiedlichsten Themen - auch wenn das der eigenen
Fraktion nicht immer gefällt. Seehofer ist kein Politiker, der sich
in der Komfortzone bewegt. Er liebt das Risiko. Zuletzt stellt er das
mit seiner Party für Facebook-Freunde unter Beweis. Zwar floppte das
Fest auch nach seinen eigenen Kriterien - es kamen abgesehen von
JU-Mitgliedern am Ende viel zu wenig junge Leute. Doch es war ein
anerkennenswerter Versuch, auf neuen Wegen mit Wählern ins Gespräch
zu kommen. Nun sorgt Seehofer zum zweiten Mal binnen Monatsfrist für
Aufsehen. Unerwartete Ausbrüche kennt man sonst aus der Welt des
Sports. Legendär die Wutrede des früheren FC Bayern-Trainers Giovanni
Trapattoni mit dem vernichtenden "Flasche leer"-Urteil über Thomas
Strunz. Seehofers Attacke kommt viel eleganter daher, doch nicht
minder treffsicher: Röttgen habe die Zustimmungswerte in wenigen
Wochen nach unten geschraubt. Schwer wiegt für Seehofer, dass sich
der CDU-Mann die Berlin-Rückkehr offenhielt und sich nicht mit ganzem
Herzen Nordrhein-Westfalen verschrieb. Das schüre
Politikverdrossenheit stärker als ein kompletter Abgang à la Ole von
Beust. Das sitzt. Und nichts davon ist falsch. Es ist auch nötig,
Klartext zu sprechen. Die desaströse Wahlniederlage der CDU bedeutet
ja nicht nur ein Verglühen des Kronprinzen Röttgen oder eine
unangenehme Schlappe für Kanzlerin Angela Merkel. Im
bevölkerungsreichsten Bundesland ist vergangenes Wochenende eine
mögliche Vorentscheidung für die Bundestagswahl 2013 getroffen
worden. Hannelore Kraft und ihre Koalitionspartnerin Sylvia Löhrmann
haben nun ein gutes Jahr Zeit, der Republik zu zeigen, wie gut
Rot-Grün funktioniert. Seehofer hat das im Blick. Die "Dinge vom Ende
her denken" ist ein Satz, der oft von ihm zu hören ist. Seehofer hat
die Schwächen der Union und der schwarz-gelben Koalition in Berlin
bloßgelegt. Seine Analysekraft wäre im nächsten Schritt nun in Bayern
nötig - und zwar in der eigenen Partei. In den Großstädten Regensburg
und Augsburg ist die CSU tief zerstritten, in Niederbayern sorgen
gerade Sanktionen gegen die Kollnburger Bürgermeisterin Josefa Schmid
für Schlagzeilen. Mit ihrem ramponierten Erscheinungsbild in den drei
Bezirksverbänden verprellt die CSU, was sie so dringend braucht:
vielversprechenden Nachwuchs. Der CSU geht in diesen Regionen
stillschweigend die nächste Generation verloren. Auch das - wie die
vergeigte NRW-Wahl - ein Problem mit ernsten Spätfolgen. Doch Analyse
ist die eine Seite, Lösungen eine andere. Das gilt speziell für
Grabenkriege in der CSU.
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Datum: 15.05.2012 - 21:25 Uhr
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